Seoul is not Korea. Kennen wir. Berlin is not Germany. Ich bin aus der Großstadt-Bubble raus. Meine nächste Station ist Gangneung. Ich dachte ja, wie in China, das alle Städte hier Metropolen sind. Ne. Als ich schon an der Bahnstation ankam wusste ich es. Willkommen in Lichterfelde Süd. Klein, aber großes Einzugsgebiet, was sich Gangneung nennen kann. Das war ein Kulturschock. Ich muss in wenigen Minuten begreifen, dass ich in einer Kleinstadt angekommen bin. Aber am Meer. Immerhin. Ich kann wieder frei atmen. Frische Luft. Das war mein Ziel. Zu Fuß vom Bahnhof zum neuen Hostel. Zuckersüß. Eine ältere Dame hat ihr Haus im 2. und 3. Stock als Herberge ausgebaut. Ich hab mir für ein paar Taler mehr ein Einzelzimmer gegönnt. Muss auch mal sein. Dann kann ich auch mal so richtig schön unordentlich sein und alles einfach liegen lassen. Das machen manche auch, wenn sie ein Bett mit anderen im Zimmer haben. Aber das ist ein ganz anderes Thema. Ich habe die Bude fast für mich alleine, weil die anderen nur eine oder zwei Nächte bleiben. Ich habe also meine eigene Küche und Balkon. Meine fetten Ingwerknollen und mein Tee sind also schon in der Küche verstaut. Ich miste auch schon wieder Zeugs aus, was ich definitiv nicht brauche. Das kann man erst vor Ort entscheiden. Ich verkleinere mich. Und jetzt noch ein schmalziger Spruch für euch: Collect Memories Not Things. Wehe, jemand verdreht jetze die Augen!
Mein erster Gedanke, als ich mein Zeug in meinem neuen Zuhause für die nächsten 10 Tage abgelegt hatte: Ab ans Meer. Bus rausgesucht. Ja, in Lichterfelde fahren noch Busse nach 16 Uhr. 20 Minuten Fahrt und 8 Vollbremsungen. Ich werde definitiv in einem Bus in Korea ums Leben kommen. Und da ist es. Unschuldig und einfach nur schön. Die Ostsee von Korea. Der Sonnenuntergang. Schön warm. Und kaum Menschen am Strand. So habe ich das gern. Ein- und ausatmen. Mit den Füßen im Meer und laufen laufen laufen …Festivals können die Koreaner. Es werden fleißig Buden aufgebaut. Stühle, Sitzsäcke, Banner ….Coffee Festival – ach was. Diese Promenade heißt auch Coffee Street. Willst du nach Korea auswandern, dann mach ein Café auf. Du wirst nicht pleite gehen.
Ich laufe nach Hause und das ist schon eine Entfernung. Alles so klein und auch viele verlassene Ladengeschäfte, viel Müll, kleine Gassen, jedes 4. Geschäft hat etwas mit Autos zu tun. Es wird kreuz und quer gebaut. Hier fehlt der rechte Winkel. Und die vielen Restaurants dürfen nicht fehlen. Aber anders als in Seoul, ist das hier alles entspannter und ruhiger. Und keine Hochhäuser. Ich sehe Himmel. Und es stehen keine 1000 Leute Schlange oder fotografieren alles. Ein ganz normales Korean BBQ Restaurant. Ich habe noch keinen Hunger und laufe weiter. Niemand auf den Straße und ich raffe auch, dass hier Ladenschluss, außer die Spätis, zwischen 17 und 19 Uhr ist. Diese Stadt sorgt automatisch dafür, dass die Seoul-Hektik aus mir rauskommt. Es ist alles einfach normal. Normal traurige Menschen. Normale Outfits. Normale Probleme und normaler Traffic: So geht Korea also auch. Gott sei Dank. Hier passe ich doch rein. Jede*r geht seinen Weg. Keine Ufregung. Nur die Busfahrer eskalieren in ihrer Schicht. Ich bin überzeugt, dass das zur Prüfung gehört. Lektion 2.4: Vollbremsung, wenn die Ampel auf Rot steht. Lektion 2.5: Vollbremsung und die Hupe nutzen, wenn die Ampel auf Rot steht. Ich habe versucht mich mit nur einer Hand im Bus festzuhalten. Nein, es müssen beide Hände sein!
In den nächsten Tagen wird mir klarer, dass hier kaum oder so gut wie gar keine Ausländer (Sagt man das noch?) sind. Es ist ein Ort mit Strand, wo Einheimische aus der Stadt oder vom Land am Wochenende einen Ausflug machen und/oder eines der vielen Festivals besuchen. Gibt ja schließlich Kaffee und Essen! Und Klimbim-Läden. Im Sommer (Und ich habe Fotos davon gesehen!) geht hier die Post ab. Ein irrer schöner und langer Strand. Hotels ragen an der Promenade ein paar Orte weiter aus dem Boden. Restaurants mit riesigen Krabben (Oder Hummer?) als Maskottchen reihen sich vor den Hotels. Hier wird geschlemmt. Außerhalb der Saison ist es windig, aber an sonnigen Tagen knallt die Sonne immer noch. Und man hat den Strand für sich allein. Fast. Manche Stative sind tief in den Sand gerammt, um mindestens eine 20-minütige Fotosession zu veranstalten. Das Peace Zeichen ist immer dabei.
Ich bin glücklich, mit einer Entscheidung an die Küste weitergezogen zu sein und schlafe so gut in einem sehr alten und quietschenden Holzbett. Morgens muss ich mir immer sagen, wo ich bin.
Wenn ich Hunger habe, laufe ich zum Markt wenige Gehminuten von meinem Hostel entfernt und zeige auf Dinge, die ich nicht identifizieren kann und esse sie dann auf dem öffentlichen Platz mit Straßenmusik. Bei einem Song rasteten die Muttis total aus. Helene Fischer auf koreanisch? Ich werde es nie erfahren. Und wenn es mir schmeckt, gehe ich nochmal zurück und versorge mich nochmal mit den gleichen Teilchen für den Abend oder den nächsten Tag. Irgendein Teilchen habe ich den Namen ‚Süßkartoffel Calzone‘ gegeben. Bis heute weiß ich nicht, was es ist. Und fragen wird nicht funktionieren. Beide Seiten sind froh, wenn wir die Abwicklung vom Handel ‘Essen gegen Geld’ gemeinsam gemeistert haben. Außerhalb von Seoul ist nichts mehr in Englisch. Außer Bushaltestellen und wenige Warnschilder – No Smoking, sonst holt dich Kim.
Da ich mit den Öffis reise, muss ich dann doch ein bisschen planen, wenn ich ein paar Strände weiter den Wanderweg an der Küste (9,8 Millionen Jahre altes Jestein! Mein TerraX-Herz freut sich!) laufen möchte. Aber eher, wann der letzte Bus zurückfährt. Das ist entscheidend. Also ab in einen der 100 Busse, die auch hier in der Kleinstadt im Sekundentakt fahren. 40 Minuten Fahrt durch die Prärie. Nimm dir Essen mit, wir fahren nach Brandenburg. Genau so! Ich liebe diese Art zu reisen Es steigen alte Omis mit zig Plastiktüten voll Lauch aus und neue ein, die so aussehen, als ob sie einen entfernten Verwandten ein Dorf weiter besuchen wollen. Ich stelle es mir nur so vor. Es wird weitaus tragischer oder langweiliger sein. Ich habe immer einen Blick auf die Route in der koreanischen Version von Google Maps. So ganz kann ich die Kontrolle nicht abgeben. Das Wetter ist top. In Irland habe ich mich ja mal so schlimm verbrannt außerhalb der Saison. Das passiert mir nicht nochmal. Also sehe ich wie viele hier, sehr hell im Gesicht aus. Ich will mich schützen, die anderen jagen einem Schönheitsideal hinterher. Gruselig. Wir alle. Ich habe dieses Mal keine Birkenstocks an – ich habe nachgerüstet. Es sind jetzt TEVA-Sandalen. Ich werde immer mutiger und noch deutscher. Hilfe! Aber sowas von bequem und sicher – ich sags euch. Safety First!
Und natürlich gibt es auf halber Strecke neben alten Militärzäunen und Aussichtsplattformen auch ein Café! Wenn nicht, wäre ich sehr enttäuscht gewesen. Ich frage mich, wie die Crew jeden Morgen hierher kommt. Aus diesem Ort oder aus einem anderen? Welche Strecke ist kürzer? Sie müssen ja exakt den gleichen Weg gehen, wie die Besucher*innen. Dafür gibt es bestimmt eine Zulage. Nur wenige Menschen unterwegs. Meistens ältere Menschen, die frei haben und Ausflüge machen. Die jungen Menschen in Korea arbeiten sich zu Tode. Ja, zu Tode. Die Suizidrate ist viel zu hoch. Nach der Arbeit ist das Essen mit Kolleg*innen und Kund*innen Pflicht und wird nicht bezahlt. Viele pendeln von außerhalb nach Seoul und nachts wieder zurück. Nicht 9to5. Sondern 5to11. Dafür wird jetzt auch das Streckennetz ausgebaut, damit man schneller in der Stadt ist. Na dann mal los …von den Frauen, die keine Kinder mehr bekommen wollen, fangen wir hier erst gar nicht an. Der Staat versucht mit vielen Maßnahmen und Angeboten, das Muttersein schmackhafter zu machen. Keine Chance. Eine Maßnahme: Personal wird aus Südostasien gestellt, damit die Kinderbetreuung gesichert ist. Ein Teufelskreis. Väter bekommen genauso lange Elternzeit wie Mütter. Aber keiner nimmt es in Anspruch. Und das Thema Schönheitsideal, was die K-Pop-Gruppen nur verstärken, möchte ich verdrängen. Es gelingt mir.
Ich bin raus aus der Hardcore-Bubble Seoul und gebe mich voll dem Kleinstadtleben an der Küste hin. Insgesamt 9 Nächte. Ich schlafe bis 11 Uhr und genieße meinen Tee (Ich habe noch 2 Beutel! Dann muss ich auf die Suche nach einem guten English Breakfast Tea gehen! Challenge accepted!) auf dem Balkon. Nur wenige Zentimeter steht schon das nächste Haus. Die Zwiebeln baumeln immer draußen an den Türklinken. Begrüßt wird sich nicht. So schlimm sehe ich in meinem Schlafanzug ja nun auch wieder nicht aus? Oder ist es etwas anderes? Ich gebe alles und lächle immer. Ich kann mittlerweile mit den emotionslosen Mitmenschen leben. Ja, sie sind nicht emotionslos. Es wird nur anders kommuniziert. Ich weiß das schon! Der Hund bellt. Die Katze auf dem heißen Blechdach sehe ich auch jeden Morgen. Meine Frage jeden Tag an mich: Was willst du heute machen? Strand, Strand oder Strand? Markt, Strand oder in der Natur wandern gehen? Du darfst wählen. Ich habe den Plan, keinen Plan zu haben. Ich lerne mich nochmal richtig neu kennen. Zeit selbst gestalten, ohne einen 5to11 Job. 24/7 Müßiggang.
Und zum Abschluss für euch! Habt ihr schonmal so eine große Spinne gesehen? Ich hab mich bissl erschrocken, als Lieselotte langsam und selbstsicher am Baum hochgekrabbelt ist.
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