Ich steige voll ein. Kein Rückzug. Die erste Einladung zu einer Geburtstagsparty steht an. Ich freue mich drauf. Mein erster Abend in Berlin nach 20 Uhr und draußen. Ich uniformiere mich für die Stadt. Meine goldenen Schuhe in einer meiner Kisten entdeckt. Ach, ich find euch schick. Aber ich hatte euch, da bin ich ehrlich, total vergessen. Endlich wieder Schuhauswahl. Ich bin bereit für öffentliche Verkehrsmittel. Das hat sich nicht verändert. Ob in Malaysia, Neuseeland oder Berlin. Ich habe kein Deutschlandticket und muss vorne in den Bus einsteigen. Alles digital. Wie aufregend. Berlin, du bist so modern. 3,80 EUR für eine Fahrt. Na herzlichen Glückwunsch. Einmal Mehringdamm bitte. Alles klar. Durch die Bergmannstraße. Seit ich wieder in Berlin bin, hab ich das Gefühl, dass ich alle kenne. Ich weiß nicht nicht, warum das so ist. Ich hab immer das Gefühl, alle begrüßen zu müssen. Aber tatsächlich waren auch schon eins zwei Gesichter dabei, wo ich mir sicher bin, dass ich die schon mal getroffen habe. Ich mache Halt in einem Späti. Zwei Bierse. Der Typ hinter der Theke ist so freundlich und ich sage das auch. Seine Antwort: Wir sind ein Familienbetrieb. Ich weiß nicht, was das damit zu tun haben soll. Ich bedanke mich und raus. Die Wege kenne ich blind. Ich kann mich also auf die Menschheit und Hundescheiße konzentrieren. Berlin: Kein Geld. Alle pleite. Divers. Jeder hat einen Knax und immer beschäftigt. Und jeder sucht eine Wohnung. Ach, ich fühle mich hier wohl. Man wird angerempelt. Ein Typ singt laut seiner Lieblingslieder und niemanden interessiert es. Bettler. Und eine Schlange bei Neddo. Morgen ist Feiertag. Alles beim Alten.

Vorglühen. Musik. Ein Wiedersehen. Als ob keine Zeit vergangen ist. Einfach normal weiterleben. Kein Update nötig, denn ich habe Kontakt gehalten und bin immer auf dem neuesten Stand von meinen Freunden. Hier finden keine Gespräche statt, wie meine Reise war. Darum geht’s nicht. Und das finde ich gut. Aber natürlich, wie es mir jetzt geht, kann ich berichten. 

Ich freue mich auszugehen. Uber und los. Der Fahrer spricht Englisch. Alles klar. Metropole Berlin. Wenn du deine Schrippe auf Deutsch kaufen willst, dann zieh nach Brandenburg. Zweite Spur und raus. An die Preise muss ich mich noch gewöhnen. Innerhalb von 4 Tagen bist du 100 Euro los und hast dich nur ernährt und fortbewegt. Für mich ist es wie ein Theaterstück, das ich besuche. Ich bin aufgeregt, die Stadt mit (m)einem neuen Blick zu entdecken. Barkultur. Was hat sich geändert? Publikum. Getränke. Was hab ich verpasst? Menükarten gibt es nicht. Ein paar Drinks stehen auf einer Tafel, ansonsten muss man einen QR-Code scannen. Arschloch, Corona. Millionen Tote und der QR-Code ist, was bleibt. Neben mir an der Bar hat jemand gerade die Karte auf seinem Smartphone offen. Ich frage, ob ich kurz reinschauen kann. Ich scanne hier nicht. Ich bestelle einen Drink, der vor 15 Jahren hip war. Basil Smash. Aber sie haben ihn noch auf der Karte, also kann er nicht schlecht sein. Oder man will auch die Zielgruppe 40+ ansprechen. Ich weiß, dass ich ein paar Leute treffe, die ich lange nicht mehr gesehen habe. Über ein Jahr. Ich weiß nicht, ob die Bar voller Gäste der Geburtstagsparty ist oder man irgendwo in der Ecke sitzt. Ich begrüße einfach mal alle. Die Gesichter hättet ihr sehen sollen. Mir scheint immer noch die namibische Sonne aus dem Ar***, da kann mich das coole Berlin auch nicht stoppen. Küsschen hier und Küsschen da. Das Hi, ich bin Frau Klamm! kommt wieder zum Einsatz. Aber woher du kommst und was du so machst interessiert keinen. Sehr angenehm. Countdown. Happy Birthday. Man will weiterziehen. Ich überlege, ob ich nach Hause gehe. Besser kann es doch nicht werden. Aber ich hatte die besten Erlebnisse, als ich mich immer dagegen entschieden hatte, nach Hause zu gehen. Ich komme mit. Ich zahle keine 3,80 EUR. Schwarz fahren in Berlin. Ich trau mich was. Ich muss mir noch einen Börek am Bahnhof holen. Denn ich habe keine Drogen genommen, die mich fit halten. Ich muss den Alkohol mit Blätterteig aufsaugen. 

Ich laufe einfach hinterher. Ab in die überfüllte Kneipe. Mein bester Freund drückt mir einen Drink in die Hand. Ich bin immer gut bei ihm aufgehoben. Ich wurschtel mich durch die Massen und setze mich zu einer Freundin. Geschafft. Ein bisschen Luft. Man wird wahrgenommen. Snap Snap. Frischfleisch. Und los geht’s. Neben mir ein betrunkener junger Mann. Er hat Liebeskummer und erzählt mir unaufgefordert, was passiert ist. Ich habe Energie und höre zu. Sein Kopf liegt schon auf meiner Schulter. Er ist mit zwei Freunden hier und sie sitzen neben uns. 10 Zentimeter zwischen uns. Meine Freundin links von mir hat auch mit ihrem Nachbarn zu tun. Es ist so eng, man kommt automatisch in Kontakt. Es ist so voll. Wenn man aufstehen will, muss man die Tische verschieben. Oder man muss über Menschen steigen. 

Und jetzt der Auftritt von meiner Liebe des Lebens für diesen Abend. Der Freund von meinem traurigen Sitznachbar registriert sofort, dass ich keine Chance habe, aus dieser Situation zu kommen, ohne unhöflich zu werden. Er stürmt auf mich zu. Naja, was halt in diesem Gedränge möglich ist. Er zieht seinen Hocker vor mich. Knie an Knie und gibt mir zu verstehen, dass er jetzt da ist und ich das nicht weiter selbst koordinieren muss. Ich verrate euch schon jetzt, dass wir 4 Stunden eine Einheit sind. Ich ahne das noch nicht. Meine Truppe will weiter. Wir sind hier nicht mal 20 Minuten? Typische Dynamik in Berlin, wenn man noch in einen Club will und schon druf ist. Da bin ich raus. Ich bleibe. Große Verabschiedung. Man versucht mich nicht zu überreden. Man kennt mich mittlerweile. Keine Chance. Ich weiß nicht, wie lange ich noch alleine in der Bar bleibe, aber meinen Drink trinke ich noch aus. Die anderen trinken nicht mal aus. Also habe ich eine große Cola, ein Pils und meinen Drink jetzt vor mir. Tschüss. Ich sitze mit dem Rücken an einer großen Fensterfront und ich bekomme noch Liebeserklärungen und Abschiedsgrüße durch die Scheibe. Meine neuen Freunde neben mir feiern das. Macht’s gut. Viel Spaß. Zurück zu meiner Realität. 

Ich bin Teil einer Gruppe. Aber eigentlich habe ich nur Augen für eine Person. Nennen wir ihn Prinz. Wir wissen sofort, dass wir füreinander geschaffen sind. Auch wenn es nur für diesen Abend ist. Wie kann ich jetzt beschreiben, wie der Abend weiterging? Es fällt mir sehr schwer, das aufzuschreiben und zu beschreiben. Es ist so ein intensives Gefühl.

Wenige Minuten nach dieser Begegnung habe ich einer Freundin eine Nachricht geschrieben:

Fast. Aber nur fast. War heute beim Geburtstag von einem Freund. Boring. Uff. Ich war kurz davor nach Hause zu fahren, als alle noch in eine Bar weiterziehen wollten. Aber ich habe ja gelernt. Ich also mit. Wir bestellen Getränke. Neben mir eine Gruppe Männer. Der Eine sieht mich und ab dann waren wir nicht mehr auseinanderzubekommen. Liebe auf den ersten Blick. Sein Freund betrunken und hatte Liebeskummer. Mein Prinz wollte mich vor ihm schützen, weil er echt fertig und betrunken war. Jetzt das wichtigste! Eine Schwulenbar. Aber er in Ralph Lauren gekleidet. Szenekneipe. Berlin. Wild. Divers. Diva Alarm. Und er in Beige und Cordhose. 4h eng an eng. Wir haben uns sofort erkannt. Er war mit Freunden auch nur auf einem Absacker dort. Die Freunde und andere hatten keine Chance mehr mit uns zu reden. Wir waren im Tunnel. Ich zu ihm: ‘Ich bin wirklich an dir interessiert. Der erste wirklich interessante Mann seit langem. Bitte sag mir nicht, dass du schwul bist.’ Es war noch nicht klar genug. Neeeeiiiinnnn!!! Niemals hätte ich das gedacht. Schwul. Oh Gott war das ein toller Abend. Wir wurden aus der Kneipe geschmissen. Wir haben uns 5 Minuten umarmt und bedankt. Boah war das intensiv.

Wir waren aufeinander fixiert, weil wir wussten, dass wir uns viel zu sagen haben. Es war eine Anziehung ab Sekunde eins. Es war ein Rausch. Ein Austausch, der 4 Stunden nicht unterbrochen wurde. Na gut, einmal. Er wurde angeflirtet und hat mir wortlos zu verstehen gegeben, dass er gleich wieder bei mir ist. Es fühlte sich an wie 20 Jahre Freundschaft. Kein Gott und die Welt – Gespräch. Echte Resonanz. In Echtzeit. Es ging um uns und die Kindheitsprägungen. Wie wir aufgewachsen sind. Er ist Ami, aber in Hessen aufgewachsen. Familienstrukturen, der Umgang mit Nähe und Liebe. Parentifizierung und Abgrenzung. Wir saßen fast aufeinander und kamen nicht mehr voneinander los. Als ob wir verabredet haben uns alles zu erzählen und uns seelische Unterstützung für unsere Vergangenheit und Zukunft zu geben. Sein Kumpel versuchte einmal auch, ein Teil des Gesprächs zu werden. Hat nicht geklappt. Er war nicht beleidigt und hat uns in Ruhe gelassen. Hoch konzentriert haben wir uns analysiert und unsere Erfahrungen ausgetauscht. Einmal war er den Tränen nahe, als er von einem emotionalen Durchbruch erzählt hat. Ich kann bis jetzt noch nicht in Worte fassen, was genau diese Magie mit uns ausmacht. Wir wussten sofort, dass wir zusammengehören. Und wenn es nur für diesen Abend ist. Kein Shitty-Chat. Sondern sofort Einstieg in unsere Leben. Er hat aber auch gute Fragen gestellt. Sein Humor. Seine Klarheit, aber auch sein Interesse an mir… Er war beliebt in der Bar. Er hat nur abgeblockt. Das war auch Thema. Nähe und Intimität zulassen – schwierig. Wieder haben wir etwas gemeinsam. Aber mit mir klappt es doch auch? Warum bist du schwul, ich fasse es nicht! Er musste auf die Toilette und ich habe von Trennungsschmerz geredet. Er kam strahlend zurück. Was besprechen wir jetzt? Keine Sekunde Stille. Systematisch haben wir alles abgearbeitet. Als ob wir wussten, dass wir uns bald trennen werden. Was noch? Aber mit einer Leichtigkeit. Er zeigte mir ein Foto auf seinem Smartphone …ich weiß gar nicht mehr warum. Aber es wurde an seinem Arbeitsplatz gemacht. Ich erkenne im Hintergrund einen Schrank und sage: Das ist öffentlicher Dienst! Da kenn ich mich auf. Die Möbel. Es stimmt. Natürlich. Angehender Psychotherapeut. Aha. Das erklärt einiges. Und macht ein paar Monate bei einem öffentlichen Träger. Ein kluger, junger und leider schwuler Mann. Mist. Ich hätte dich um ein zweites Date gefragt. Wir werden aus der Bar geschmissen. Wir sind nur noch sechs Leute. Feierabend. Ich gehe vor und er sorgt dafür, dass ich noch nicht abhaue. Er hat seine Freunde und mich im Blick. Er kümmert sich. Das musste er als Kind auch tun. Wir stehen alle verpeilt vor der Bar am Kotti. Ich weiß, dass ich mich gleich trennen werde. Er auch. Wir ziehen noch in die Länge. Dann ist es soweit. U1 und U8. Wir umarmen uns minutenlang. Zweimal. Gucken uns tief in die Augen und bedanken uns für den Abend. Ich nenne es Liebe. Die Freunde stehen mit Abstand daneben und wissen, dass sie uns jetzt nicht stören brauchen. Das war unser Moment und Abschied. Meine erste Nacht in Berlin und dann so … voller Liebe – ohne Hetero-Happy-End!

Ich habe begriffen, dass meine Reise mit den Begegnungen nicht zu Ende ist, auch wenn ich jetzt wieder in Berlin bin. Ich dachte, dass ich in mein altes Leben in Berlin zurückkehre, was ich nicht mehr leben wollte. Aber ich habe mich verändert und es geht jetzt einfach in Berlin weiter. Aber anders. Mit ganz viel Liebe, Freiheit und Glück.

Warum wir keine Nummern ausgetauscht haben? Ich weiß es nicht und es ist so ok. Ich weiß, dass er im Grunewald laufen geht und ich werde beim nächsten Spaziergang dort die Augen offenhalten. Danke für diesen Abend, mein Prinz. Mein schwuler Prinz.