Noch 4 Tage Urlaub. In Berlin. Meine Heimat(stadt). 9 Tage auf dem Land. Jeden Tag an die Elbe. Einfach laufen. Über Felder. Steinbrüche. Eisblumen. Eine Großdtädterin im Paradies. Durch kleine Dörfer durch. Herrlich. Und dann zufrieden und vollgepumpt mit frischer deutscher Landluft in den alten Sessel von Opa plumpsen lassen und die Mediatheken durchgucken. So macht man Urlaub 2024.
Zurück in Berlin. Ich bin (noch) nicht bereit aufs Land zu ziehen. Aber ich brauche Auslauf. Und die Ochsentouren ‚Lass mal nach Brandenburg in die Natur fahren‘ habe ich keinen Bock. Berlin hat genug Natur im S-Bahnring. Dickes B, zeig mir mal, was du hast. Also los geht’s. Ziel war der Tegler Forst. Krieg ich hin. Start Hansaplatz. 12 Uhr. Vorher noch durch den Tiergarten. Katharina Witt und Trainer auf dem Eis. Hackt’s oder was? Auf Insta sieht das bestimmt romantisch aus. In Reallife sehe ich nur Gefahr. Ach, Kinder. Ich dachte ich habe meine Ruhe – ist schließlich unter der Woche. Wo kommen diese Massen her? Touris sind das nicht. Bin ich schon so weltfremd? Wenn ich wüsste. Weiter. U6. Leopoldoplatz. Was hier los ist. Wo wollen die Menschen hin und woher kommen sie? U-Bahn fährt nicht regelmäßig. Ansage vom DJ. Irgendwas ist immer. U-Bahnhof Seestraße gestrandet. Mir wird meine ‚Tiergarten/Mitte-9to5‘- Bubble immer bewusster. Ich fahre täglich die Touriroute zur Arbeit. Der 100er oder 200er und wenn ich laufe, dann am Brandenburg Tor, Zoo oder Tiergarten entlang. Das ist alles Kulisse und Tourialarm.
Lautstärke. Drogenverkauf LIVE. Super. Gewalt – kriegt euch ein. Und dazwischen eine Kindergartengruppe. Alltag. Leben. Berlin. Also unwohl fühle ich mich nicht. Darum geht’s nicht. Nichts fährt also. Ich sitze auf der Bank auf dem Bahnsteig zwischen Mutti und Mustafa und checke die Map. Was geht hier in der Nähe? Plötzensee?! Schonmal gehört. Bisschen muss ich noch laufen, aber dann bin ich in der Natur.
Ich spüre den Wedding. Schön an der 6 spurigen entlang. Einatmen. Ausatmen. Bin jetzt schon eine Stunde unterwegs. Einmal um dem See ist jetzt Ziel. ‚Haialarm am Plötzensee‘. Eine witzige und wichtige Kampagne vom Bezirk. Müll ohne Ende. Neu errichtete Zäune am Ufer. Hier hat die Natur keine Ruhe. Hier wird die Natur runtergerockt. Der Mensch. Herzlichen Glückwunsch. Das Seebad Plötzsensee geschlossen, aber bestimmt einen Besuch wert im Sommer. Flutschfinger garantiert. Strand in Berlin. Wer sehnt sich nicht danach.
Das Laufen und einfach unterwegs sein tut mir gut. Nichts anderes mache ich auf meinen Reisen. Halt nur an der Klippe in Nordirland. Aber ich will auch meine Heimat erkunden. Viel zu selten gemacht. Beobachten. Aufsaugen. Was ist hier in der Stadt los. Fehlt mir.
Teechen auf der Bank. Pause. Schnell erledigt meine 5km. Zwei Menschen hab ich gesehen. Bissl gruselig. Hier will keiner am Tag sein?! Mach ich etwas falsch oder richtig?! Jetzt ab in meine Bubble zurück. Aber wie? Tram fahren findet in meiner City-West-Welt ja gar nicht statt. Also los. M13 startet am Plötzensee. Das gönne ich mir jetzt. Endstation Warschauer Straße. Perfekt. Ich also als Berlinerin eine Stadtrundfahrt durch das graue, arme, dreckige, runtergerockte, aber authentische Berlin.
Schmuck. Style. Rucksäcke. Benehmen. Mützen. Jutebeutel. Handyhüllen. Ich kann mich nicht satt sehen. Und wieder so voll. Candycrush auf arabisch. Muster, die ich seit 1998 nicht mehr gesehen habe. Nationalitäten nebeneinander, wo ich jede Sekunde dachte, dass es gleich Probleme gibt. Alles friedlich. Es wird gelächelt. Sind wir sanfter geworden oder ist nicht alles so feindlich, wie wir uns erzählen. Die Baggyjeans ist zurück. Finde ich gut. Gemachte Nägel waren nie weg. Es ist ein bunter Haufen Berliner*innen. Und ich mitten drin. Ich trage Jogginghose. Nur fürs Protokoll. Und habe mein Smartphone in einer Rosa Handyhülle mit Schnur um mich gewickelt. Ich bin ein Teil davon.
Von Bezirk zu Bezirk. Von Zielgruppe zu Zielgruppe. Ich genieße. Neo-Klassik dazu. Ein Genre, was ich laut Spotify 2023 am häufigsten gehört habe.
Nach 45 Minuten in der Tram sehne ich mich nach meiner warmen Wohnung. Ich begreife, was Alltag bedeutet. Das alle essen müssen, es warm haben wollen, Verpflichtungen nachgehen, Miete zahlen müssen (für den Mindestlohn und zu hohen Mieten. Die Gesichter sprechen Bände!) und geliebt werden wollen. Kinder müssen versorgt werden. Pakete werden durch die Stadt geschleppt. Und nachher zu Hause mit dem lauten TV und Insta auf Dauerschleife noch etwas Schönes uf temu gönnen. Belohnung. Ablenkung. Alles verständlich. Wie auch sonst?! Anderes Thema.
Die Stadt hat Probleme. Das sieht und spürt man. Und das sind nicht nur die AfD-Plakate an den Laternen.
U1 Richtung Wittenbergplatz. Fast zu Hause. Neben mir ein junger Mensch. 15? Ne, bestimmt schon 26?! Zückt sein Smartphone und macht Bruce Springsteen lauter. Das habe ich nicht erwartet. Okay. Zulassen. Ich suche minutenlang Bruce Bringsteen, bis ich es geschnallt habe. Ein Tag lang in Berlin. Und meine erste bewusste Session mit Bruce. Ich drücke Play. Ein interessanter Tag. Den Tegler Forst dann ein anderes Mal. Wenn die Bahn fährt.
Graphik im Header: BA Mitte
Moritz
Neo~Klassik? Schick mal nen Link! Und wenn du das nächste mal am Plötzensee bist, komm vorbei. Wir haben auch Tee für dich.