Ich habe mir endlich einen Lebenstraum erfüllt. Ich habe das Great Barrier Reef live gesehen. Aber so richtig. Endlich bin ich an der Ostküste von Australien angekommen und habe ein günstiges Hostel gefunden. Und konnte gleich mehrere Touren buchen: Regenwald, Krokodile in einem Fluss beobachten, Koala sehen (bis jetzt noch nicht in der freien Wildbahn! Diese Info ist hier in Australien sehr wichtig und wird genau genommen!), Kängurus (wild!), einen Kasuar, Fledermäuse, Papageien in den Palmen vom Nachbarn und sowieso und dann das berühmte und einzigartige Korallenriff.

Als 10 jährige habe ich im Fernsehen eine Dokumentation über das Korallenriff gesehen und wusste, dass ich das eines Tages sehen möchte. Diese einzigartige Landschaft. Diese Farben, dieses einzigartige System. Die Fische und Schildkröten. Ich war verzaubert. Ich deckte mich in der Bibliothek mit allen Büchern über diese Landschaft ein und habe stundenlang gelesen und mir diese Fotos angeguckt. Ich wusste nach wenigen Monaten alles darüber. Man konnte mich nachts wecken und alles zu diesem Riff fragen. Ich habe geträumt, dass ich eines Tages dort schnorcheln oder/und tauchen würde. Diesen Traum habe ich nie aufgegeben! Kurz vor meiner Geburt wurde es von der UNESCO zu einem Weltnaturerbe ernannt. Mit sehr viel Trauer habe ich von der Korallenbleiche gelesen. Wir zerstören alles. Und 2024 war es auf einmal so weit. Ich war in Australien. Der beste Ort ist natürlich Cairns. Der Ort … viele Hostels und gute Touren. Noch ein Ort, wo viel Mittelschicht und die Jugend reist und man ein Bett für 24 EUR pro Nacht bekommt. Und dann war es soweit. Ich werde 3h – jeweils 1h an drei Orten am Great Barrier Reef schnorcheln.

Das ist alles eine große Lüge! Ich hatte noch vor 11 Tagen keine Ahnung, was das Great Barrier Reef ist. Ich habe am 25.12. in Tokio morgens einen Flug gesucht, der mich aus Japan rausholt. Der Flug nach Australien war günstig, der günstigste, und Check-in war wenige Stunden nach der Buchung. Na gut, dann eben in eine Kleinstadt an die Küste. Egal. Wird schon. Erstmal nur weg.

Ich habe alles nachgeholt. Gelesen bei der Hitze habe ich nicht. Aber Wikipedia habe ich geschafft und (fast) alle Dokumentationen dazu. Und hier kommt man an diesem Reef eh nicht vorbei. Eine wichtige Einnahmequelle. 

Ich war ein bisschen nervös. Ich war noch nie schnorcheln. Tagestour gebucht. Yacht (Boot?) mit Verpflegung und Einweisungen. 1h Fahrt auf das offene Meer. Das Foto, wenn man auf das Boot kam, was von einem gemacht wurde  – habe ich berlinerisch abgelehnt. Nein danke! Und mir dann für 30 EUR am Ende der Tour anbieten. Ach, nö. Und wer versichert mir, dass dieses Foto nicht irgendwann als Coverfoto auf der Sports Illustrated landet? Ich kenne meine Rechte.

Ich werde als ‘Will schnorcheln’ und ‘ist alleine’ eingestuft und an einen Tisch gesetzt. Dort saßen auch schon zwei junge Frauen. Und wieder für einen Tag neue Freunde. Alles läuft fließend ab. Die machen diese Touren täglich und das ganze Jahr. Ist ok. Alles freundlich und professionell. Mit Personal aus Berlin würde ich diese Tour nicht buchen. Jeder weiß, dass das Massenabfertigung ist. Am Peer stehen (liegen?!) von diesen Booten (Yachten?) 30 Stück (rum). Andere Riffs, andere Inseln oder einfach nur chillen auf dem Meer und goldene Trüffelbutter, Nutten und Koks bei 34 Grad.

Wir fahren sehr schnell aufs offene Meer. Das Wasser peitscht. Der Magen hüpft. Endlich mal wieder verliebt. Und es geht los. Nein, nicht das Schnorcheln oder das Tauchen, was man auch buchen konnte. Das Kotzen! Das große Kotzen! Es roch danach, man hörte es und man sah es. Ich hatte mal eine Tour nach Helgoland – mit einem Katamaran. 99% der Passagiere haben sich übergeben. Die Eltern auf die Kinder. Und wenn jemand das gesehen hat – hat er sich auch übergeben. Sowas habe ich noch nie erlebt. Der Kapitän machte seine Späße mit seinen Durchsagen, dass das heute sehr heftig ist. Heftig? Hier liegt überall Erbrochenes rum. Mir war mulmig. Der Seegang und der Geruch. Aber gekotzt habe ich nicht.

Auch nicht auf der Fahrt zu meinem Lebenstraum. Manche sind ihren Tauchgang erst gar nicht angetreten und manche sind nach 30 Minuten erbrechen einfach eingeschlafen. Ist ja auch anstrengend. Das Bordpersonal kennt das schon und kam mit riesigen Kanister mit irgendwelchen gut riechenden, aber bestimmt ätzendem Zeug und hat alles weggeschrubbt. Futter für die Fischis. Am Essensbuffet gab es Tabletten gegen Seekrankheit. Witzig. Alles inklusive.

Ich wurde nervös. Ich hatte keine Ahnung, wie mir das alles gefallen wird und wie ich mich anstellen werde. Zu unserer Single Gruppe stieß noch eine kleine Familie dazu. Das Pärchen aus Irland und Schweden – leben aber in Berlin. Die Mutter aus Irland. Ihr Lebenstraum wird heute in Erfüllung gehen. Süß. Meiner auch, aber ich wusste das da noch nicht. Die Schnorchel Gruppe (Lass es 40 Leute sein, abzüglich der, die kotzend in der Ecke lagen!) wurde also gebrieft. Das wars, dachte ich? Ich bin in solchen Situationen aber auch immer sehr …hm…ängstlich..nein, das ist es nicht. Sehr genau und perfektionistisch? Aber ich hatte jetzt keine Wahl, außer das Vorhaben abzusagen. Aber ich bleibe nicht neben den Kotzbrocken (Lustig – gilt für die echten Brocken, aber für die unangenehmen Menschen …) auf dem Boot. Also durchziehen. Ich hatte vor allem Respekt. Los ging es. Gut organisiert war es. Erst die Tauchergruppe. Raus raus. Dann wir. Jeder bekam eine Ausrüstung. Der Jellyfisch hat Saison und will uns alle töten! Australien – gefährlichstes Land – wir freuen uns auf Sie! Marketing ist  nicht einfach mit dieser Gefahren. Aber das Riff sorgt für Massentourismus. Mit oder ohne Kampagne. Daher bekamen wir einen Ganzkörperanzug. Ja, ein Overall! Ich habe zweimal einen größeren verlangt. Ich habe auch in den ersten reingepasst. Aber ich will ja noch atmen! Da kommt mein Perfektionismus durch. Ich will nicht beim Schnorcheln daran denken, dass der Anzug bissl drückt und in der Ritze kneift! Ich bin sehr stolz auf mich. Jetzt sitzt alles perfekt. Bissl sexy fühlt man sich schon damit. Hat was. Ich habe mir noch Ohrstöpsel fürs Tauchen gekauft. Gute Idee. Ach Frau Klamm, du kümmerst dich aber auch um dich! Bin stolz auf dich. Wasser in meinen Ohren und meine Krankenkassenbeiträge haben sich definitiv gelohnt, die ich hier monatlich abdrücke. Maske. Flossen. Die man erst im Sitzen, kurz bevor man raus schwimmt anzieht. Ganz klare Ansagen. Steh ich ja drauf. Meine innerliche Checkliste stand. Jetzt noch die Brille präparieren, damit sie nicht beschlägt. Mit Wasser danach abspülen. Eine aus meiner Gruppe hat das auch noch nie gemacht. Wir haben dann gesagt, dass wir das zusammen meistern. Wir hatten immer einen Blick für uns und haben uns gefragt, ob alles ok ist. Das ist ein schönes Gefühl. Wir müssen uns nicht über unsere Kindheit austauschen, aber wir sorgen dafür, dass wir hier alle eine gute Zeit haben. Ich war auf der Fahrt zu den Riffs für die Unterhaltung zuständig. Kann ich einfach. Na ratet mal! Genau! Mit meiner Story, dass ich von diesem Riff vorher noch nie etwas gehört habe und ich jetzt ganz gespannt bin. Dass ich in meinen 10 Tagen auch schon wilde Krokodile, eine Schildkröte an Green Island vorbeischwimmen sah ..und und und. Ich wurde als Glückspilz betitelt, aber mir kam auch  sehr viel Neid und liebevoller Hass entgegen. Kann ich mit umgehen! Und es wird noch besser! Fast alle hatten die GoPro, also eine Unterwasserkamera, am Start. Selbst mitgebracht oder auf dem Boot (Ist es jetzt eine Yacht oder ein Boot? Klärt mich doch jetzt mal jemand auf? Ich kann doch nicht alles wissen!!!) ausgeliehen hat. Ich saß da nur mit meinen Ohrstöpseln. Ich sitze nun auf dieser Treppe – schon halb im Meer – meine Flossen habe ich schon angezogen. Und manchmal ist die Berlinerin dann doch noch am Start. Neben mir meine Schnorchelfreundin (mit GoPro) und wir gucken uns an und sehen eine chinesische Großfamilie, die das Briefing nicht verstanden hat. Sich nicht wegbewegte, sondern einfach vor dem Boot blieb. Ich habe durch die eng sitzende Maske und ungewolltem Duckface meiner Freundin zu verstehen gegeben: Ich regel das (auf meine Weise!)! Sie nickt und wartet. Ich nahm eine GhettoGangsta Körperhaltung mit meinem Sting Suit (so heißt der Ganzkörperanzug gegen die Stiche der Quallen) ein und fuchtelte Berlinerisch auffordernd, dass sie ihren Arsch jetzt ins Meer bewegen sollten. Ich will hier schnorcheln. Hat geklappt. Weiß nicht warum und das so schnell! Ich habe es also immer noch, auch in einem Catwoman-Anzug, drauf. So, jetzt wir. Reicht mir jetze! Es geht los. Ich war so aufgeregt. Wegen des Riffs, ob man hier nur Lügen erzählt und ob Schnorcheln etwas für mich ist. Ich verrate soviel, dass ich das definitiv nochmal machen werde. Und dann werde ich stolz auf das Formular ankreuzen, dass ich schon mal geschnorchelt bin. Ich war bereit. Ich hatte auch eine Schwimmweste an. Sicher ist sicher. Dadurch konnte ich mich auch mal ausruhen und liegen und bin nicht immer und immer weiter. Ich ließ los und hielt meinen Kopf unter Wasser. Da warteten schon Fische auf mich! Nur auf mich! In der ersten Sekunde unter Wasser wusste ich: DAS WILL UND KANN ICH! Und weg war ich. Ich war voll in einem Trance. Nur noch raus. Ich hörte mein Ein- und Ausatmen. Das war Mediation für mich. Keine Ablenkung – wie mit einer GoPro, wo ich Bilder machen, will und kann. Ich, das Meer, das Riff und mein Atmen. Ich war ich und nichts anderes war jetzt wichtig und im Fokus. Konzentration auf mich. So sehr bei mir und im Hier und Jetzt war ich noch nie. Auf dem offenen Meer. Was für ein Gefühl. Unbeschreiblich. Ich sah niemanden, wenn ich mal kurz nach dem Abstand zu dem Boot nachschaute. Wie eine Schildkröte meinen Kopf kurz rausgucken ließ. Sehr weit weg vom Boot, aber ich konnte es noch sehen. Klar. Nicht übertreiben. Ich habe ja auch Babyhaie gesehen. Da wurde mir bissl mulmig und habe mit meinem Leben abgeschlossen. Wenn jetzt die Haimutti vorbeikommt. Fuck. Oder sind die alleine unterwegs und werden gar nicht mehr begleitet? Einmal wurde ich auch zurückgepfiffen. Zu weit nach links raus. Geht klar. Ich komme zurück. Ich kam aus dem Gaffen gar nicht mehr raus. Ich habe mich erwischt, als ich mehrmals ‘WOW’ gesagt habe. Laut und mit einem Schnorchel im Mund. Du kannst es alleine unter Wasser nur mit dir genießen und bist nicht LIVE auf Insta. Machen bestimmt einige – die Ausrüstung dazu habe ich gesehen. Diese Riesenmuscheln. Diese großen gelben Korallen ….riesige Kugeln im Wasser. Fische, die ich mir alle gar nicht merken kann. Dicke Würmer auf dem Meeresgrund. Die habe ich schon auf Green Island gesehen. So viel Schönheit. So farbenfroh. Die Muster, diese eigene Welt. Sowas habe ich nicht erwartet, auch wenn ich mir Fotos und Videos vorab angeguckt habe. Das ist sehr überwältigend. Und dann …das hatten ja alle aus meiner Gruppe gehofft. Eine Schildkröte sehen. Joah, also mein Name ist Frau Klamm, ich bin seit 10 Tagen in Australien und wusste nichts von diesem Riff und habe auf meiner ersten Schnorcheltour eine Schildkröte an mir vorbei schwimmen sehen. Oh, die Gesichter hättet ihr sehen sollen. Alle, wo eine Kamera am Handgelenk baumelte. Das ist alles sehr beeindruckend und ich bin zu Tränen gerührt. So schön. Insgesamt machten wir drei Stopps und jedes Mal schwamm ich eine Stunde im offenen Meer. Einmal wurde es dunkel und es fing heftig an zu regnen. Ein irres Gefühl. Du bist halb unter Wasser und es prasselt auf dich ein. So viel Natur und Freiheit. 

Manchmal ist man so fasziniert von allem unter sich, dass man seinen Kopf zu sehr neigt und der Schnorchel voller Salzwasser vollläuft. Dann ein lautes Ausatmen und alles rauspusten. Weiter geht’s. Ich mache das alles sehr gut und bin selbst erstaunt, dass ich hier so ruhig und friedlich bin und ich es nicht mag, wenn das Signal kommt, dass wir jetzt alle wieder an Bord müssen.

Diese Erschöpfung habe ich auch unterschätzt. Man sagte uns, dass wir sehr müde sein werden und Knast haben werden. Oh ja, sage ich euch. Du hast so Hunger und dein Körper hat eine Stunde so viel geleistet! Es gab Lunch. Dafür war ich dankbar. Frischwasser. Tee. Alle aßen noch, aber ich bin schon wieder rausgeschwommen. Ich war noch nicht satt – von dem Korallenriff. Wir schliefen fast alle ein, schon nach unserer zweiten Tour. Geredet haben wir nur noch wenig. Immer kurz ein Bericht, was wir gesehen haben. Man fragte dann schon sehr vorsichtig, was ich wieder gesehen habe und ob man sich mal an mich ranhängt. Mit den Abdrücken von unseren Masken im Gesicht hingen wir auf unseren Plätzen und waren einfach nur müde und glücklich.  

Es kam dann noch zu einem SmallTalk mit einer von der Crew und sie hat uns noch von schönen Ausflügen in Australien berichtet und Empfehlungen ausgesprochen. Man guckte mich nur von der Seite mit einem fetten Grinsen an und war sich sicher, dass ich das alles noch sehen werde und dafür nicht viel geplant haben werde und ich weiter so viel Glück haben werde. Ich nickte selbstbewusst! Ich glaube auch! Wenn du was nicht willst – kommt es zu dir? Wenn du keine Erwartungen hast – dann kommt alles zu dir? Alles kommt zu dir, wenn du zu dir kommst! (Den letzten Satz habe ich aus einem Profil bei WhatsApp einer Freundin geklaut! Danke! Tantiemen gibt es nicht!)

Ich schlenderte mit meiner Gruppe vom Peer und wir verabschiedeten uns nach einer Weile. Bekanntschaften auf Stundenbasis. Ich war noch nie so selig – glaube ich. Ein schönes Körpergefühl. Meine neue Mitbewohnerin sah von Weitem, wie glücklich ich war. Ich habe ihr ungefragt einen Pitch über das Great Barrier Reef und das Schnorcheln gehalten. Um 20 Uhr lag ich im Bett. Erschöpft und zufrieden.

Und ja, ich habe kein einziges Foto von dieser Tour. Alles in meinem Kopf. Und das fühlt sich gut an.