Das Pergamonmuseum wird für lange Zeit geschlossen?! 13 Jahre?! Das habe ich sogar mitbekommen. Ich verpasse kein Museum, wenn ich auf Reisen bin. In meiner Heimatstadt, das muss ich zugeben, reizt mich das nicht. Tragisch. Denn Berlin hat viel zu bieten. Aber diese Schlagzeile hat mich wachgerüttelt. Ob ich schon mal im Pergamonmuseum war? Keine Ahnung. Muss man sich erinnern? Gehört das nicht zum Lehrplan in der Grundschule? Durch die begrenzten Online-Tickets wusste ich, dass der Andrang groß sein würde. Jetzt nochmal schnell ins Museum, 13 Jahre Sanierungsarbeiten. Jetzt gehörte ich auch zu den Berliner*innen, die aktiv werden und es jetzt dann doch nochmal gesehen haben wollen. Die ‚Heute ausverkauft‘-Schilder hingen schon. Schön schnell in Word reingehakt. Und mit Klebestreifen auf irgendwelche Aufsteller geklebt. Heute keine Ästhetikrundgänge bitte. Dass Menschen keine Schilder lesen weiß ich, seit ich in einer großen öffentlichen Bibliothek arbeite. Was? Hier endet die Schlange? Hier muss ich mich anstellen, um reinzukommen? Mit Ticket? Ich erkundige mich natürlich beim Servicepersonal. Ja, tatsächlich. Das haben sich viele gefragt. 50 Meter Schlange. Das letzte Mal im Club so angestanden. Okay, alles für die Kultur. Atmen.

Genug Zeit, um mich den Touristen zu widmen. Was haben wir denn so? Ah, der Klassiker: das frisch verheiratete Pärchen aus einem spanisch sprechenden Land. Die Sprache muss ich lernen. Spanisch ist nach Chinesisch die am zweithäufigsten gesprochene Sprache der Welt. Soy Frau Klamm. Fein! Das hektische ältere Pärchen (deutsch! und laut!) mit gemusterten Oberteilen, die ich verbieten lasse, wenn ich Bundeskanzlerin werde. Deutsche haben das Bedürfnis sich auszutauschen, um sicher zu gehen. Und genau das passiert. Das eine Pärchen spricht das andere Pärchen an: Des isch jedzd abr dahana uch die Schlang für des Museim? Mir han Diggeds. Unsr Zeidfenschder isch au gloi vobei. Die Antwort: Jo, ond mai Weib isch no die Ruggsägge wegbringa. Typisch. Nicht zuhören und antworten, sondern seine Sorgen loswerden.

Was haben wir noch. Ah, eine entspannte Familie. Muti, Vati und ein Kind im Kinderwagen. Frau Weidel wäre stolz. Es gibt entspannte Eltern und sehr aufgeregte und komplizierte Eltern. Typsache. Entspannte Eltern (soweit ich sowas beuteilen kann?!), die sich einfach anstellen und abwarten. Oh, diese Gelassenheit färbt ab. Danke dafür. Hinter mir wird Englisch und Amerikanisch gesprochen. Ein Paar. Frisch verliebt. Küsschen. Giggle! Giggle! Ich freue mich für die beiden. Hauptsache ihr habt eure Liebe gefunden. Jetzt nicht neidisch gucken! Gut. Ich lächle. Und ein Lächeln öffnet dir die Welt?! Wie war der Wandtattoo-Spruch? Sie sprechen mich an. Ob sie das richtige Ticket haben und zeigen mir ihr Smartphone. Ne, das war anders. Sie haben gefragt und ich habe nach dem Smartphone gegriffen. Ich voll in meinem Service-Element: Ja, ihr steht richtig. Erleichterung. Erstmal ein Küsschen. Atmen. Ich frage, und mich interessiert es wirklich, woher sie kommen. Minnesota. Waren nicht Brandon und Brenda Walsh von dort? Das frage ich nicht laut. Sie sind zu jung. 

Im Louvre ist mehr los. Das Ischtar-Tor – eines der Stadttore von Babylon

Warten. Die Schlange bewegt sich. Ich entdecke die Audio-Guide Station vorne am Eingang. Das sehen Menschen, die nur 1,70 m groß sind nicht. Danke für die Gene Vati. Ich frage das Paar hinter mir, ob sie auch ein Audioguide wollen. Wenn es etwas kostet, dann Nein, wenn nicht, dann gerne. Gut, das ist eine klare Ansage. Fliegen von Minnesota nach Europa und am Audioguide soll gespart werden? Warum? Man bekommt nur einen Audioguide von dem griesgrämigen Mitarbeiter, wenn man das Ticket vorzeigt. Verständlich. Ich winke meinem Paar zu und gebe zu verstehen, dass einer von den beiden mit den Tickets zu mir kommen soll. Brendon kommt. Das Ticket von Brendon wird vom Head of Audioguide begutachtet und ein dumpfes: Ne.

Wie ne? Na, die haben Tickets für die Panoramaausstellung, aber nicht für das Pergamonmuseum. Klärt das  mit der Kasse. Und zack wurden wir ignoriert. Klar, neben uns die nächsten 10 Besucher*innen, die für einen Guide anstehen. Dafür habe ich Energie. Mein frisch verliebtes Pärchen soll das kostenlose Angebot des Audio-Guides genießen können. Ich zu den Kassen. Brendon will das selbst regeln. Gut, dann mach. Ich gebe Brenda von weiten ein Zeichen, dass sie andere in der Schlange vorlassen soll. Denn sie ist kurz vor dem Eingang. Sie ist klug und versteht mein Gefuchtel.

Wir Berliner sind sa quasi die Erfinder der Freundlichkeit. Keine Chance an der Kasse. Sie sieht hier nicht eindeutig, dass das Tickets für das Pergamonmuseum ist. Auch als ich nochmal nachfrage und Brendons Alleingang ignoriere. Frau Klamm gibt nicht auf. Ich muss zugeben, dass die Tickets über das Portal Booking.com auch nicht sehr gut übersetzt und eindeutig sind. Das ist immer der Mist, dass wir Touris die schnelle Nummer nutzen und über Portale buchen und nicht direkt beim Museum. Lohnt sich. Ist meist günstiger, denn diese Portale nehmen auch noch dubiose Servicegebühren. Brandon und Brenda haben sich schon damit abgefunden, dass sie nicht reinkommen! 

Fliese mit Jagdszene aus dem Iran, 13. Jahrhundert. Museum für Islamische Kunst

Nicht mit Frau Klamm. Wir stehen bereits 5 Meter vor dem Eingang. Ich entdecke die Schwester von Kurt Krömer, die die Tickets checkt und einfach die Schlange im Blick hat. Attacke. Im besten Berliner Dialekt! Tach, die ana Kasse hat uns (ich bin jetzt schon eine Gruppe mit dem Pärchen!) wegjeschickt. Dit sollen keene Tickets für dit Pergamonmuseum sein. Dit kann doch nich sein. Ich zeige ihr die Tickets. Dit steht doch da. Und nen Audioguide hamse och nich bekommen. Brendon und Brenda verstehen kein Wort und nicken nur. Kurts Schwester nickt zustimmend und geht direkt zum Grisgram. Jetzt weiß ich, das Ding ist geregelt. Dann ruft sie eine jüngere Kollegin von der Kasse zu sich. Es werden Tickets ausgedruckt. Und Audioguides ausgehändigt. Freude und Erleichterung. Küsschen. Küsschen. Am Ziel, endlich. Wie im Club. Ich darf rein. Das Pärchen muss noch warten. Ich mache einen Knicks und wünsche ein schönes Leben. Winkend und mit einem auswendig gelernten Dnkeschen verabschieden wir uns.

3h – das Museum und ich. Knackevoll. Und die chinesische Reisegruppe fegt auch im Eiltempo durch. Seit meiner Chinareise genieße ich diese Begegnungen.

Ich sehe nur eine Person, die auch alleine unterwegs ist. Der Dahlem-Typ. Vor 20 Jahren hatte er auf jeden Fall den Kragen oben. Unsere Blicke treffen sich – nein, das wird kein Happy End – als wir uns beide über das Fotoshooting eines Pärchen vor einem Exponat amüsieren. Wir stehen davor und lauschen dem Audioguide und der Insta-Mann gibt seiner Begleitung strenge Anweisungen, wie sie sich hinzustellen hat. So macht Museum Spaß. Weiter geht’s.

Die lauten (Die dürfen das! Das meine ich ernst. Regt mich nicht auf!) pubertierenden Schüler*innen können die Exponate aus dem 9 Jahrhundert v. Chr. fortografieren, erfassen und nebenbei ein TikTok Video online stellen. Einfach anders. Jede Generation ist anders. Ich würde diese Methode, ein Museum zu erkunden, nie verurteilen. Und es ist schon beruhigend, wenn man beobachtet, dass dann doch schnell bei Wikipedia nachgeschaut wird, aus welcher Stadt die antike Vase vor einem stammt.

Das Museum wird seit 2013 laufend saniert und daher ist der Saal mit dem Pergamonaltar, der Mschatta-Saal sowei weitere Austellungsräume aktuell geschlossen. Es ist eine sehenswertes Museum, aber es haut mich nicht um. Schon zu viel gesehen!? Für Amerikaner muss das hier allerdings irre sein. Archtiektur älter als 70 Jahre. Ich bin immer dafür ins Museum zu gehen. Es ist Balsam für die Seele, aber Akko in Isreal hat mich mehr beindruckt. Aber vergleichen ist hier vielleicht auch nicht angebracht. Gehören diese Ausgrabungen auch wirklich ‚uns‘? Nur weil wir eine Genehmigung 1902 im Iran hatten. Schwieriges Thema.

Ich habe Zeit und kann mir sogar mehrmals die Exponate vom Audioguide erklären lassen. Ich kann das genießen und ich bin dankbar Zugang zu Kunst- und Kulturgeschichte zu haben.

Und da sehe ich noch von weitem das Blümchenkleid von Brenda. Sie konnten sich nicht viel Zeit nehmen, denn sie haben ja offiziell noch die Tickets für die Panoramaaustellung ein paar Häuser weiter. Und nur Zeit bis 18 Uhr. Kultur im Schnelldurchlauf.

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