Einen Tag vorher war ich schon im National Bunraku Theater und wusste, dass ich mir das angucken möchte.

Ich schlafe ja durchschnittlich bis 13 Uhr. Jeden Tag ausschlafen, außer ich muss aus dem Hostel auschecken. Das ist Luxus. Das Bunraku-Theater geht von 10:30 Uhr bis 20:20 Uhr. In zwei Akten. Man kann aber auch nur den ersten oder zweiten Akt besuchen. Oder! Man kann nur einzelne Passagen buchen. Diesen detaillierten Zeit- und Kostenplan hatte ich schon in die Hand gedrückt bekommen. Das habe ich alles noch den Abend davor im Theaterfoyer erfahren. Ich musste also nur noch vor dem zweiten Akt dort sein. Um 10:30 Uhr sitze ich da sicher nicht. Was sich als sehr gute Entscheidung herausstellt. 

Ich also um 15 Uhr vor Ort und schon richtig was los. Naja, manche sind hier schon seit heute Morgen. Ich werde sehr höflich und lieb zum Ticketschalter gebracht. Easy. Alles ist auch in Englisch möglich. Marketing – die japanische Kultur auch den Ausländern einfach buchbar machen. So ist’s richtig. In meiner Schlange auch ein Pärchen aus irgendeinem Land, wo man Spanisch spricht. Ansonsten kaum Ausländer. Ticket für den kompletten zweiten Akt 15:30 – 20:20 Uhr. Wer hier einen Tag verbringt hat meinen Respekt. So einfach ist das nicht. Ich werde es selbst erfahren. Ich werde im japanischen Stil am Eingang im Foyer im 2. Stock zum Audio-Guidestand geleitet. Ich finde das toll. Dabei verbeugen wir uns mehrmals. Bald sitzen meine chronischen Rückenschmerzen im Nacken und nicht mehr im unteren Rücken. Japan ist das Land der Schilder. Ich werde das niemals mehr von Deutschland behaupten. Ich sehe, dass man mit seiner aufgeladenen BVG-Karte hier auch zahlen kann. Das finde ich so cool. Ich strahle. Ich krame meine ICOCA-Karte raus. Kramen ist sowas von nicht japanisch. Hier bin ich eine Verpeilerin. Die haben hier für alles ihre Handgriffe, als ob es zur Geburt ein Handbuch für Lebens-Choreographien gibt. Niemand kruschtelt, hutschelt und zieht an seinen Klamotten oder ist irgendwie fahrig. Ich fühle mich hier wie ein Riese, der ganz dolles Zucken hat. 

Ok, ich krame also in aller Ruhe meine Karte raus und lasse mir anmerken, dass ich es irre finde, dass man in Japan auch mit der Öffi-Karte zahlen kann. Die zwei Frauen lachen laut und freuen sich mit mir. Oder lachen sie mich aus, weil sie denken: Aus welchem Neuland-Land kommt die denn? Ich zahle den Audioguide und bekomme noch zig Zettel in die Hand gedrückt. Können die Japaner auch sehr gut. Ich bringe täglich mindestens 10 Flyer nach Hause. Mülleimer gibt es ja nicht. 

Ich habe noch 30 Minuten. Ich gucke mich im Foyer um und bin happy. Ich mag die Atmosphäre in Vorderhäusern. Mich fängt eine Dame vom Theater ab und drückt mir einen Umfragebogen zu diesem Theaterbesuch in die Hand. Mache ich sehr gerne. Die anderen Ausländer haben das auch schon in ihren Händen. Und dann noch ein Heft über Bunraku in English. Eine sehr detaillierte Erklärung der Geschichte und allem. Toll! Danke. Ich bin definitiv gut vorbereitet! Ich noch schnell auf die Toilette. Alles so eng und niedrig. Nicht mein Land, wenn es um öffentliche Räume geht. Ich versuche mit zig kreativen Handgriffen Seife aus dem Spender zu bekommen. Es gelingt mir nicht. Eine Frau hat sich das lange genug angeguckt und lehnt sich zu meinem Seifenspender rüber und zeigt mir, wie es geht. Danke! Verbeugung selbstverständlich. 

Viele Besucher*innen (Ja, auch Männer!) sind in traditioneller japanischer Kleidung hier: Kimono, Obi, Tabi und Geta. Es ertönt ein Gong. Und auf dem Audioguide läuft auch schon eine Erklärung. Bunraku für Dummies. Alles wird erklärt. Die Bühne, der Ablauf, was uns jetzt erwartet. 

So …Bunraku mal in leichter Sprache und ganz zackig von Frau Klamm erzählt/erklärt: 

Traditionelles japanisches Figurentheater. In Osaka erfunden. Eine Puppe, drei Menschen, die diese bedienen. Einer, der den Kopf und rechten Arm im Griff hat, der zweite die Linke Hand und der letzte in der Tarifgruppe die Beine. Gruselig ist, dass der linke Arm und die Beine von Menschen bedient werden, die komplett in schwarzen Kimonos gekleidet sind. Auch mit einer Kapuze. Es war sehr gruselig zu Beginn für mich und hat mich an den Ku-Klux-Klan erinnert.

Und dann gibt es die Sprecher an der Seite, die die Geschichte erzählen, aber auch verschiedene Rollen sprechen. Und Live-Musik. Also richtig viel los auf der Bühne.

Es ist nicht ausverkauft und ich setze mich auf einen anderen Platz, bevor es losgeht! NICHT IN JAPAN! ICH WURDE ABER SOWAS VON ZURÜCKGEPFIFFEN!!!!!! Aber mit einer Verbeugung versteht sich. Aber hier sitzt doch keiner?!? Na gut! Mahn ey! 

Der Audioguide erklärt und übersetzt. Es geht um Mord, Gewalt, Rache …was das Leben so hergibt. Ich glaube, man unterschätzt, wie schwer es ist, diese Puppen durch das Bedienung Leben einzuhauchen. Manche haben Ferngläser mit und das Fotografieren ist strengstens verboten. Für Japaner bestimmt eine innerliche Qual. Pause. Alle zücken ihre Snackbox aka Bentoboxen. Ich bin nicht vorbereitet und habe auch Knast. Ich kenne ja die klassischen Brezel und Stulle mit Brot in den Theatern. Hier bekommst du Bentoboxen. Ich kaufe mir eine, die noch nicht ausverkauft ist. Geht hier schnell. Ich setze mich zu den anderen in die tiefen Foyer Sessel (Ein Sketch von Loriot wäre hier sehr leicht möglich, aber ob die Japaner das verstehen würden?) und esse. 20 Minuten Pause. Brauche ich auch. Geht das jetzt so weiter? Ich bin bissl fertig. Ich gebe es zu.

Nicht nur in den U-Bahnen und Cafés sehe ich die Japaner ein Nickerchen machen. Auch im Theater. Das ältere Pärchen vor mir knickt regelmäßig weg. Japaner sind, so meine Beobachtung, sehr müde.

Auf geht’s. Weiter. Dieses Mal geht es um Mord. Ich könnte sofort wegdösen. Nicht weil es langweilig ist, es ist wie ein Hörspiel. Geschafft! 4 Stunden!!!!!!!!!!!! Wie habe ich das geschafft?! Mir rennt man gleich hinterher, ob ich jetzt die Umfrage für Ausländer ausgefüllt habe. Jaha! Ist ja gut! Ich war natürlich nett. Als Dankeschön bekomme ich noch einen coolen Aufkleber geschenkt.  Klebt jetzt auf meinem Computer. Eine schöne Erinnerung. Das Theater ist so 90er – von innen und außen. Hatte gerade seinen 40. Geburtstag hinter sich. Ich genieße noch ein bisschen das Interieur und das kleine Museum mit der Ausstellung der Programmheften von 40 Jahren Bunraku in diesem Theater. 

Ich laufe durch Massen Richtung Metro. Shopping, Sushi und alles bunt und laut. Ein schöner Start in Osaka. 

Ich treffe zwei Tage später auf einer Party im Hostel eine Japanerin, die noch nie in so einem Theaterstück war. Ist das typisch, wenn man als Einwohner*in selbst diese Kultur nicht besucht, genießt und als Pflichtprogramm hat?!