Ich war auf China nicht vorbereitet. Ich wollte mal nicht Europa. Weg, weit weg. Ich war gelangweilt von der westlichen Welt. Dummer Satz. Ich weiß. Würde ich heute so auch nicht mehr sagen. Reisen sind auch Prozesse. Also habe ich das Visum-Prozedere durchgezogen und im Herbst 2019 stundenlang irgendwelche Fragebögen zu mir und meinem Aufenthalt in China ausgefüllt. In Englisch und Deutsch. Jede Station meiner 4 Wochen musste ich vorher angeben. Also komplett eine Reise recherchieren, reservieren/buchen und alle Buchungsbestätigungen als Kopie anhängen. Also das war ein Akt. Meinen Reisepass habe ich von einer Visum-Agentur in meiner Mittagspause abholen lassen. Vertrauen muss man haben. Aber ich wollte das. Dass ich in Peking noch eine Woche lang ein heftiges Tief haben werde, ahnte ich nicht. Gut so. Ich sage nur: Hakenkreuze im chinesischen Staatsfernsehen, Embryostellung und Dauerheulen. Diese Tage sind einen Kurzfilm wert. Wer übernimmt die Hauptrolle? Sandra Bullock? Ne, Kate Winslet. Ich überlege noch. Oder geben wir einer Newcomerin eine Chance? Ja, wir müssen den Nachwuchs fördern. 

Aber diese Tage haben mich, ich wusste es ja noch nicht!, auf diese Reise erst vorbereitet. Also war alles so gut. Ich hatte in Berlin schon einen Zug von Peking in eine kleiner (Das ist auch so ein Thema. Was ist eine kleine Stadt in China? 4 Millionen Einwohner*innen?!) gebucht. Völliger Quatsch. Ich war noch nicht bereit weiterzuziehen. Körperlich und seelisch. Also war irgendwo am 3 Tag nach Ankunft ein leerer Sitz in einem Zug. Ich sage nur die Puuh-Reiseakte. Mehr dazu später. Und die Dimensionen dieses Landes waren mir jetzt erst klar. Ich musste ja in 20 Tagen in Hong Kong sein. Mein Rückflug war gebucht. Man muss sich das gut überlegen, wo und wie man vorwärts kommt. Ein Plan musste her. Ein richtiger Plan. Mein ganzes Konzept der Reise habe ich in den ersten Stunden über Bord geworfen. Habe heulend alle Foren und PDF-Anleitungen zu China gelesen. Was habe ich eigentlich in Berlin für China vorbereitet? Nichts. Schönen Dank auch, Frau Klamm!

Im westlichen Hotel am Rand von China lag ich nun heulend und hungrig im Bett. Mich hatte ein Taxi rausgelassen, aber nicht in der Nähe von meinem Hotel. Ich kann dem Fahrer nichts vorwerfen. In meiner OpenSource Map-App war das Hotel nicht eingetragen. Also sind wir gemeinsam blind ungefähr in die Gegend von meinem Hotel gefahren. Und nochmal: Was hast du eigentlich vor Abflug für diese Reise vorbereitet! Jetzt fahre ich nach Irland und alles ist organisiert. Und da ist es ja nun nicht nötig. Aber diese unvorbereiteten Erfahrungen sitzen tief. Nie wieder! Mir liefen auf der Straße nach einem Langstreckenflug fast die Tränen über mein Gesicht. Ich war 10 Minuten in China und habe schon mit Händen und Füßen in Shops und anderen Hotels gefragt, ob sie mein Hotel kennen und wo ich hinlaufen muss. Ob alles in Ordnung sei, wurde ich dann in perfektem Oxford-Englisch gefragt. Nein! Ich bin am Ende. So fühlt sich Glück und Geborgenheit an. Ein junger Mann erklärte mir in perfekten English den Weg zu dem Hotel.

So mein Start in China. Ich  verrate es jetzt schon. Ich habe durchgehalten. Ich habe meinen Aufenthalt in Peking verlängert und bin nach ein paar Tagen in ein Hostel umgezogen. Ein Neustart. Diese Kraft gefunden zu haben und nicht aufzugeben. Diese Erfahrung und Erinnerung erfüllt mich heute noch mit Stolz. Menschen brauchen eine Community. Oder anders: Kontakt mit anderen Menschen, die einen unterstützen, helfen, verstehen, Ähnliches durchgemacht haben und was man sonst noch so für jemanden machen kann. Holt euch Hilfe. Und wenn es ein Hostel inmitten von Peking ist. Ab da an war ich in China angekommen. 

Ich habe nach China in Berlin einen Wochenendkurs bei der VHS gebucht: Chinesische Kalligraphie. Uns wurde nicht nur liebevoll die Magie und Kunst der Kalligraphie gelehrt, sondern auch die Weisheit der chinesischen Kultur. Ich kam mit dem Mitschreiben kaum hinterher. Als die Lehrerin meine Geschichte zu den ersten 4 Tagen in Peking hörte, sagte sie: ‘Dass du es zugelassen hast, 4 Tage zu heulen und zu leiden, ist doch etwas schönes. Sei stolz auf dich. Das ist Stärke. Schwäche zulassen. Und dann wieder Kraft tanken und weitermachen. Du hast die Reise nicht abgebrochen.’ So hatte ich das noch gar nicht gesehen. Danke.

Eine Nacht verbrachte ich mit den Hakenkreuzen im TV (Sonst lief ja nur Winnie Puuh oder irgendwelche schrägen Gaming Shows, die mich optisch überfordert haben.) im Bett und lernte (!), wie man ein Zugticket in China bucht. Definitiv eine Tagesaufgabe.

Es war soweit. Heute kaufe ich ein Zugticket. Guten Tag, mein Name ist Klamm und ich kaufe hier ein. 5h zu Fuß zu einem der 5 Hauptbahnhöfe von Peking. Ich bin nur gelaufen in Peking. So konnte ich aufsaugen. Die Dimensionen und die sozialistische Infrastruktur erkennen. Ich war wieder Ich. Ich hatte schon einen geführten Ausflug an die chinesische Mauer erlebt und ich war bereit, das nächste Abenteuer zu erleben.

Endgegner.

Ich rege mich ja schon auf, wenn ich über eine 4spurige in Berlin muss. Und dann noch eine Tram dazwischen. Ich habe keine Zeit. Und wer hat eigentlich die Ampelsteuerung im Blick? In China fangen wir so gar nicht erst an zu ‘mecker’. Unter 8spurig geht hier gar nichts. Ich hatte schon 300 kcal bei der Überquerung einer Kreuzung verbrannt und das auch nur, weil ich tausenden Menschen und Autos ausweichen musste. Ja, die Autos fahren einfach, was ist schon ein Menschenleben wert. Ich bin aus Berlin, du M*****! Da kenne ich ja nichts. Nicht mit mir. Hab überlebt. Aber bestimmt einen Vermerk in meiner Reiseakte bei Winnie. Dabei wird es nicht bleiben. Sollte ich jemals Kontakte zur chinesischen Regierung haben, werde ich meine Akte anfordern. 

Wo ist der Eingang? Ok, das das ist deutlich zu lesen. Dabei bleibt es aber. Der Rest ist Chinesisch. Ja, aber wo stelle ich mich denn jetzt an? Ich zoomte in die Screenshots meiner Recherche im www (mit VPN!!!! Das hatte ich vor meiner Reise ganz genau recherchiert. Aber bei der Ankunft hatte ich noch keine SIM und daher war ich so hilflos. Wie man eine SIM-Karte in einem chinesischen Shop kauft ist immer eine witzige Geschichte. herrje! 4h meines Lebens.) im Hotel. Verglich die Schriftzeichen im Screenshot mit denen direkt vor mir über den Schaltern leuchteten. Aha, das könnte ein richtiger Schalter sein. Ich stelle mich an. Jetzt war ich dran. Ich war natürlich gut vorbereitet: die App mit den übersetzten Sätzen, gut leserlich die Daten für meine Zugverbindung, mein Reisepass und die Kreditkarte lagen schon auf dem Tresen.

Das Desinteresse der Person hinter dem Schalter kann so verletzend sein. Ich bin hochsensibel (Das habe ich erst jetzt erkannt und hat einiges erklärt!). Ich darf mich davon jetzt nicht aus der Bahn werfen lassen. Ich komme sonst aus dieser Stadt nicht raus. Ich kann doch nicht der einzige nicht chinesische sprechende Mensch sein, der hier jemals ein Ticket bestellt hat?! Es war soweit. Und jetzt nur noch bezahlen. Fassen wir zusammen: Schlafwagen 1. Klasse von Peking bis Xian. Wie? Nur Cash? Ich wurde in China nur schief angeguckt, wenn ich bar zahlen wollte und jetzt muss es Cash sein. Das Gesicht, dass dieser anstrengende Kauf jetzt nicht abgeschlossen werden kann, könnt ihr euch von uns beiden vorstellen.

Aber ich war nicht gescheitert. Ich bin weit gekommen. Alles Einstellungssache. Dann einfach morgen nochmal 5h flanieren und ein Ticket kaufen. Schaff ich. Man kann sich vorstellen, wie selbstsicher ich auf den Schalter zugesteuert bin und dann ganz selbstverständlich in bar mein Zugticket gezahlt habe.

Ja, man kann Zugtickets auch online bestellen, aber 1. hatte man dann nie die Chance auf diese Erfahrung und 2. ist das auch nicht so einfach. Denn man muss das Ticket mit einem gültigen Pass abholen. Und dafür gibt es nicht EINEN Schalter. Da stand ich auch mit meinen Screenshots vor den Containern und habe alle Schilder Schriftzeichen für Schriftzeichen mit denen in der Anleitung ‘Wie hole ich ein im www gebuchtes Zuckticket in China ab’ verglichen. Und jetzt weiß ich auch, dass das eine 0 (Null) in meiner Reisepassnummer ist und keine O (Buchstabe O). Als die Person im Container meinen Reisepass entgegennahm, um mein Ticket auszudrucken, wurde mir mit einem unmissverständlichen Gesichtsausdruck vermittelt, dass es Glück sei, wenn ich in den Zug bzw. auf den Bahnhof (Nur Sicherheitschecks in China! Überall!) gelassen werden. Warum? Was ist los? Er zeigt grinsend auf die O auf meinem Ticket. Also O und 0 ist ein Unterschied, klar. Ich hatte es online falsch eingegeben. Meine Recherche ergab: Der Buchstabe „O“ ist generell nicht in Dokumenten- und Passnummern enthalten. Muss man sowas wissen?! Verschont mich.

Ich hab es mir in einem falschen Abteil gemütlich gemacht. Peinlich. Da musste ich durch. Englisch wird nicht gesprochen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich das alles geschafft habe. Mein Genosse, mit dem ich mir ein Schlafabteil geteilt habe, konnte ich im Gesicht ablesen, als er mich sah. Culturclash. Nicht nur für dich mein Freund. Er hat die ganze Nacht an einer Präsentation über Immobilien (Also die Fotos waren mein einziger Hinweis) gebastelt.

Wie man mit einem europäischen Reisepass durch die Sicherheitskontrollen an den Bahnhöfen kommt, ist ein Story für sich. Interessiert? Nur so viel vorab. Ich habe mich bei einem Angestellten in einer blauen Mao Jacke eingehakt, der mich zu einem separaten Eingang geleitet hat. Wo ein selbstfahrender Polizeiroboter auf mich wartete. Und genau das ist China. Das alte und neue China. Ich war angekommen. Ich hatte Vertrauen.