Ich kann es nicht lassen. Surfen. Ich bin selbst erstaunt, dass ich ohne zu zögern wieder einen Surfkurs gebucht habe. Dieses Mal im Atlantik und eine Woche am Stück. Ich hatte ein schönes Wochenende in Swakopmund mit einem Freund und ich bin geblieben und habe mich in ein Hostel eingebucht, welches sich auf Surfen spezialisiert hat. Bett, Frühstück und jeden Tag surfen. Gebucht. Check In und am Abend erstmal ein Willkommensdinner. Hostelleben kann ich mittlerweile. 11 Monate habe ich in Hostels gelebt, mit wenigen Ausnahmen in Hotels oder in Apartments. Mehrbettzimmer gebucht, aber da ich spontan gebucht hatte, ziehe ich während der Woche zweimal in ein anderes Zimmer. Einzelzimmer und einmal in ein Apartment, das zum Hostel gehört. Mit echten Handtüchern. Mein persönlicher Luxus. Denkt an mich, wenn ihr euch nach einer Dusche mit euren Baumwollhandtüchern abtrocknet. Beste Gefühl. Einfach Sachen in meinen Koffer stopfen und umziehen. Profi. Keine Umstände. Die Besitzer der Surfschule kennen auch meinen Kumpel. Dorf halt. Man kennt sich. Liebe Grüße richte ich natürlich aus und ich werde gefragt, ob ich auch auf das Festival im September eingeladen bin. Ja, aber ich muss mal gucken, ob das klappt. Denn ich habe noch ein paar Touren vor.
Ich habe das Surfen für mich entdeckt, aber ich bin Anfängerin. Da mache ich mir nichts vor. Was mich fasziniert, dass ich in meinem Leben noch nie etwas hatte, wo ich nicht aufgegeben habe. Ich drangeblieben bin und immer weiter gemacht hab. Ihr kennt mich auch gut, vielleicht gibt es noch andere Sachen, wo ich so dran bleibe?! Ich will es wissen und es macht mir einfach Spaß im Wasser zu sein und die Herausforderung anzunehmen, auf diesem Brett zu stehen. Oder auch erstmal einfach hochzukommen. Ich habe das Surfen in Australien entdeckt. Schön warm. Nur ein halber Wetsuit. Leichte Wellen. Ich nenne es leichte Wellen, denn ich weiß nicht, wie man das sonst nennt. Aber jetzt will ich es im Atlantik wissen. Naiv. Kalt. Ein Ganzkörperanzug. Da reinzukommen ist schon eine Kunst. Der Kopf im kalten Wasser, denn ich stehe ja nicht oft. Ich falle öfter, als dass ich stehe und so richtig surfe. Egal.
Erster Tag und ich bin die einzige im Kurs. Also Privatunterricht. Das Glück hatte ich ja auch schon bei meinem Freediving-Kurs. Volle Aufmerksamkeit auf mich. Gerne. Wetsuit und Schuhe packen. Brett aussuchen und ins Auto. 10 Minuten Fahrt an den Long Beach. Niemand vor Ort. Anziehen und los. Ich präsentiere stolz meinem Privatlehrer aus Spanien, der auch im Hostel lebt und seine zweite Saison in Swakopmund unterrichtet, was ich schon kann. Also im Sand. Das Aufstehen. Es gibt mehrere Techniken, wenn man die Welle erwischt hat, aufzustehen. Ich bin so kopflastig und das weiß ich. Overthinking At It’s Best. Willkommen in meiner Welt. Ich mache meinen Kopf vorsichtshalber schon vorab nass. Denn ich weiß, dass ich bald abtauchen werde. Meine Trockenübungen beherrsche ich. Ein Lob vom Lehrer. Danke. Und jetzt rein. Er gibt mir Support. Also die Welle zu erwischen, denn dafür habe ich noch keine Nerven. Zu paddeln, um den Moment zu erkennen, wann man anfängt und dann aufsteht. Mal ganz langsam hier. Ich muss erstmal mit der Kälte kämpfen. Das legt sich aber schnell. Denn ich bin im Flow. Flow muss ja nicht unbedingt mit Erfolgserlebnissen verknüpft sein. Ich bin es, auch wenn ich nur reinplumpse. Ich mache ein Projekt aus allem. Checkliste. Wann Arsch hoch und Füße aufs Brett stellen? Ich kriegs nicht hin. Es ist mir noch egal. Und wieder das Brett schnappen und ins Meer laufen. Das fordert am meisten Kraft, glaubt mir. Ich gehe theoretisch alles durch – mit mir selbst und meinem Support, meinem Lehrer. So viel musste er noch nie im Wasser quatschen. Er gibt mir Tipps und bemerkt, dass ich zu viel denke. Ach, was.
Körperlich ist es ein Kraftakt. Pilates und Yoga am Fließband. Und das ist das Stichwort: Yoga. Ich frage ihn, was ich da veranstalte, wenn ich aufstehen will. Ob ich zu wenig Kraft habe? Im Gegenteil, meinte er. Ich mache Yoga auf dem Brett, was gar nicht nötig ist. Ich habe irre Kraft und wuchte meinen ganzen Körper hoch. Warum? Weiß ich doch nicht! Die Yogapose Downward Dog, wie er mir einmal vormacht. Ich habe die Kraft und Balance Yoga auf dem Brett zu machen, aber aufstehen gelingt mir nicht. Ich falle nur rein. Ich komme mit einem geknickten Ego ins Hostel zurück. Ich kämpfe mit mir, weil ich das so sehr will. Es macht mir so viel Freude. Ich analysiere im Wasser und gehe alles durch ….mein Lehrer meint, dass ich damit aufhören soll. Neiiiiiiiinnn. Aber er hat recht. Ich bin so erschossen von der ersten Stunde. Beste Workout für mich. Und dann der Ausblick auf die älteste Wüste der Erde. Wüste trifft Atlantik. Unbezahlbar. 2 Stunden im Wasser und ich kann es nicht glauben. Feierabend. Raus aus dem Anzug und zurück, neben uns die Dünen. Eine Belohnung.
Man motiviert mich im Hostel, dass ich den Spaß nicht vergessen soll. Ja, ich weiß. Aber ich habe eine Herausforderung und ich will kämpfen. Erschöpfung pur. Manchmal kann ich meine Augen kaum offen halten. So müde. Ich schlafe fast im Stehen ein. Friedlich und ausgeglichen ist Frau Klamm. Das hat bisher nur Surfen geschafft. Morgen geht’s weiter. Blutiges Knie. Brett an den Kopf. Aua. Purzelbäume. Im flachen Wasser auf die Sandbank krachen. Aufstehen und nochmal. Nochmal. Nochmal.
Ich träume vom Surfen und was ich besser machen kann. Ich gebe zu, dass ich sehr streng mit mir bin und auch zickig werde. Aber ich weiß, dass es einfach meine Art und Weise ist, mit solchen Situationen umzugehen. Daher halte ich es aus, obwohl ich meine Strenge selbst lächerlich finde.
Auf geht’s. Zweiter Tag. Ich habe Muskelkater. Sogar meine Fußsohlen spüre ich. Heute scheint die Sonne. Ich sage euch, dass das so einiges ausmacht. Ich vergesse die Kälte vom Wasser, aber ein paar Sonnenstrahlen helfen. Und immer und immer wieder versuche ich mein Aufstehen hinzubekommen. Dann begreife ich, dass ich aufgebe, wenn ich fast stehe und mich einfach fallen lasse. Aber das der Moment ist, wo ich meine Balance halten muss, in die Dünen nach vorne gucken sollte und stehen bleiben kann. Ich gebe auf. Ist typisch, lerne ich. Aha, Erkenntnis. Immer mehr gelingt es mir, sicherer zu werden und auch mal ein paar Sekunden zu stehen. Einmal sagte mein Lehrer, dass ich absolut keine Technik beim Aufrichten auf dem Brett hatte, aber ich stand. Und das zählt. Erfolgserlebnisse. Yes, das brauche ich. Und immer und immer wieder bekomme ich Feedback oder die Frage gestellt, warum ich Yoga Übungen auf dem Brett veranstalte. Ich weiß es doch auch nicht!!! Lass mich. Manchmal schaffe ich es kaum mit dem Brett gegen die starken Wellen und die Kälte zurück in den Atlantik. Aqua Fitness High Level.
Und dann gab es einen Werbeblock im Atlantik. Eine weitere Belohnung. Delphine surfen wenige Meter vor uns. So majestätisch und magisch. Ja, zeigt mir mal, wie das geht. Und die Seelöwen waren immer an meiner Seite und schwammen frech wenige Meter von uns. Also wenn die das können, dann ich auch. Ich zeig’s euch. Los. Guckt mir zu.
Ich beschließe am dritten Tag nicht mehr zu denken. Ich habe keinen Bock mehr. Und ratet! Genau, ich stehe! Gibt es doch nicht. Ja, ok – ich stehe noch keine 7 Sekunden, aber ich stehe einfach auf. Ich denke nicht an meine Checkliste, sondern stehe einfach auf. Keine Gedanken, wann und wie am besten und schnellsten. Einfach machen. Klappt. Ich bekomme auch ein Gefühl für die Wellen, dass ich viel Zeit habe. Ich habe begriffen, dass ich immer denke, dass ich gleich schnell hoch muss. Nein, spüre die Welle und dann hoch. Ich habe Zeit. Ich bin stolz. Und ich gebe nicht auf.
Meine Mutter gibt mir noch einen guten Tipp, weil sie mich (wahrscheinlich) gut kennt. Dass ich vielleicht gegen den Atlantik und die Wellen kämpfe. Und nicht mit dem Wasser arbeite. Mich führen lassen wäre doch mal eine Idee. Hm, gar kein schlechter Ansatz und meine Verbissenheit im Wasser ist tatsächlich ein Kampf. Mit mir und dem Meer. Wir sind ein Team. Die Welle ist da. Ich auch. Die Welle gibt nicht auf. Sie bleibt. Ich muss auch nicht aufgeben. Also machen wir das Beste draus. Ich setze den Tipp am nächsten Tag gleich um. Also: 1. Nicht denken. 2. Aufstehen. 3. Die Welle nicht als Gegner sehen, sondern als einen Freund, mit dem ich jetzt gemeinsame Sache mache. Und es klappt. Boah war ich stolz. Und mein Lehrer erst!!!!! Zitat: Du bist gesurft! Ach so, jetzt verstehe ich. Gemeinsam. Führen lassen. Nicht meine Stärke. Kommt da mein Zwang nach Autonomie durch. Ich stehe jetzt nicht bei jeder Welle, aber das Aufstehen ist jetzt nicht mehr die Baustelle, sondern richtig zu stehen, um weiter zu surfen. Und ich schaffe es sogar, mehrmals auf einer Welle aufzustehen. Ich lasse mich nicht fallen, sondern balanciere mich nochmal aus. Denn die Welle ist noch nicht fertig mit mir.
Nach den Surfstunden gehe ich strahlend in Swakopmund Red Cappuccino trinken und ich bin selig. Mein Körper schmerzt, aber ich fühle mich sauwohl. Beste Gefühl. 4 Tage am Stück. Jeden Tag. Ein Tag Pause. Und dann nochmal 3 Tage. Jedes Mal starte ich mit Trockenübungen am Strand und der Kommentar vom Lehrer: Kannst du das bitte auch so im Wasser machen, danke. Am 5. Tag habe ich Gesellschaft und wir sind zu fünft. Der schönste Kommentar der Amerikanerin nach 2 Stunden im Wasser: Ich kann mir nicht vorstellen, das morgen nochmal zu machen. Ich bin fertig. Ha, genau. Ich mache das jeden Tag. Da wusste ich, was ich leiste.
Ich gucke mir im Trockenen im Hostel Surfvideos an. Ich kann es nicht lassen und übe sogar das Aufstehen – in Gedanken und im Garten. An einem Tag wurden Videos gemacht. Eigentlich für Social Media, aber auch zur Analyse. So stolz stand ich neben meinem Lehrer, wie er mir zeigte, was ich noch verbessern muss. Meinen linken Fuß weiter in die Mitte. Ich habe immer den linken Fuß vorne. Aber ich dachte mir, ich kann ja auch mal den rechten Fuß nach vorne stellen. Das nennt man ‘Goofy’. Denn regulär ist der linken Fuß vorne. Im Comic mit Pluto und Goofy hat Goofy den rechten Fuß vorne und stürzt. Daher kommt das.Ich strahle auf den Fotos, wo ich ein Surfbrett in der Hand habe und nach 2 Stunden aus dem Wasser komme. Das Foto wünsche ich mir. Mit den Dünen im Hintergrund. Kaum Kraft, um das Brett ohne Sand zum Auto zu tragen. Pure Erschöpfung. Ich will das. Ich liebe es. Ich weiß nicht warum, aber ich werde weitermachen. Ich habe sowas noch nie bei mir erlebt. Ich gehe durch die Egohölle, aber ich fange mich emotional immer wieder und arbeite an meiner Einstellung. Mich nicht zu ernst zu nehmen. Zu streng zu sein und Spaß zu haben. Mein Traum ist es, neben einer Wanderung, wo ich mehrere Tage alleine wandere und mein Zelt aufschlage, ein Surfcamp in Hawaii besuchen. You’re not old until your dreams become regrets. Das hat meine 68-jährige Wanderkollegin, die ich auf dem Camino Damaraland sehr lieb gewonnen habe, stolz in der WhatsApp-Gruppe nach der Wanderung mit uns gepostet. Recht hat sie. Von der 6 tägigen Wanderung berichte ich noch.