Als ich mit 26 Jahren in einem Hostel in Schottland kaum Luft bekam, habe ich gesagt: Wenn ich mehr Geld verdiene, werde ich nur noch in Hotels übernachten und nie wieder in ein Mehrbettzimmer einchecken. Luxus, Komfort und meine Ruhe.
Und das habe ich auch mehr als ein Jahrzehnt durchgezogen.
Im Nachhinein war diese eine Nacht in Schottland der Grund für diese Einstellung. Wenn man wenig Geld hat, sehnt man sich (also in meinem Fall) immer nach dem, was man sich nicht leisten kann. 15 Jahre später buche ich Hostels mit Freude und habe eine ganz andere Einstellung und Bedürfnisse auf Reisen.
Was hat meine Einstellung geändert? Der Extremfall.
Ich bin 2019 nach Peking gereist und saß einsam in meinem großen westlichen Hotelzimmer. Niemand sprach Englisch und ich hatte keine Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, einfache Fragen beantwortet zu bekommen oder mich zu vernetzen. Absolute Abschottung. Es war auch noch so ein Messehotel. Fail. Ich weinte 4 Nächte im Hotel und war fix und fertig. Natürlich war auch der Kulturschock entscheidend und die aufregende Fahrt vom Flughafen zum Hotel (eine andere Geschichte!). Lost in Peking. Genau, ein westliches Hotel und alles wird gut. Ne, Püppy. Nicht in China.
Ich habe noch zwei Tage im Hotel verlängert, nachgedacht, geweint, recherchiert und dann hat es Klick gemacht. Ich habe mich an die Vorteile eines Hostel erinnert. Ich brauche Anschluss – eine Community, der es ähnlich geht. Lost in Translation. Ich habe mir ein Hostel in Peking gesucht und bin dann sechs Stunden vom vermeintlich zentralen Hotel in Peking zum Hostel in der Nähe der verbotenen Stadt gelaufen. Schon als ich dort ankam, war ich erleichtert. Die Hotelmitarbeiterin hat schon auf mich gewartet und am Eingang gewunken (das hat auch mit der Sicherheit und Überwachung in China zu tun – nicht nur, weil sie sich freuen, mich zu sehen!). Das war mir egal. Ich werde begrüßt! Ich wurde mit perfektem Oxford-Englisch empfangen und man kann sich gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich war. Das war Glück und erst dann startete meine Reise.
In China konnte ich mir ein Einzelzimmer mit Bad im Hostel leisten. Nicht gleich in ein 20-Bettzimmer. Step By Step. Perfekt. Aber vor Ort hatte ich eine Küche (heißes Wasser für Tee steht in China überall bereit), einen Aufenthaltsraum, Mitarbeiter*innen, die mir 24/7 alle Fragen auf Englisch beantworten konnten. Eine Bibliothek mit Reiseführern. Ein schwarzes Brett mit Angeboten für Touren. Internationale Gäste und immer die Möglichkeit, um Hilfe zu bitten und sich auszutauschen. Denkt jetzt nicht, dass ich dann mit anderen Deutschen Karten gespielt habe und wir uns unsere Lebensgeschichten erzählt haben. Es gibt Grenzen. Es gibt ein ‘Dazwischen’. Das musste und habe ich mit Freude gelernt.
Noch beim Einchecken habe ich für den nächsten Tag eine Tour zur Chinesischen Mauer gebucht. Loslassen – ich muss das nicht alles alleine schaffen und buchen. Ja, in Hotels bekommt man auch Informationen und man kann Touren buchen, aber die Zielgruppe, die Kosten und die Stimmung ist ganz anders.
In China habe ich das mit den Hostels durchgezogen und das war die beste Entscheidung, um Leute kennenzulernen und unvergessliche Momente zu erleben (Am 24.12. in Chengdu mit Karaoke und Kartoffelsalat).
Die Jugendherbergen der 90er und 00er Jahre sind mit den heutigen Jugendherbergen und der Ausstattung der Zimmer nicht mehr zu vergleichen.
Heute haben 90% der Hotelbetten Vorhänge und die Betten sind so konzipiert, dass man sein eigenes Reich hat und nur noch für das Badezimmer aus seiner Privatsphäre raus muss. Da gibt es natürlich auch noch Unterschiede im Komfort. Aber die alten Hostels ohne Vorhänge gibt es so gut wie gar nicht mehr.
Die Betten sind so gebaut, dass man seinen eigenen Schrank oder Spind direkt neben/in dem/seinem Bett hat, den man meist auch mit einer Karte öffnen und schließen kann.
Standard sind mittlerweile auch Leselampen, Spiegel, Kleiderhaken, Steckdosen und USB-Ladestationen neben dem Bett.
Die Privatsphäre, oft ein Argument gegen Hostels, ist durch die neuen Betonkonstruktionen (für mich!) gewährleistet. Ja, wenn man prinzipiell nicht mit Fremden in einem Raum schlafen will, reichen diese Argumente nicht aus.
Nach China war ich offen und habe das auch bei anderen Reisen durchgezogen und nur positive Erfahrungen gesammelt.
Ich buche ein Bett im Hostel, wenn …
– die durchschnittlichen Kosten für eine Nacht mein Budget sprengen.
– ich vor Ort Anschluss für Ausflüge und ggf. Informationen von Locals haben möchte.
– ich sowieso nur schlafen und duschen muss, weil sich das Leben draußen abspielt.
Ich mag es, allein zu sein und in meinem Hotelzimmer gemütlich lokales Fernsehen zu schauen und zu entspannen. Das mache ich auch. Ich bin keine Hardcore-Hostel-Backpackerin geworden.
Kein Hostel, wenn …
– ich eine Pause brauche und mich ein paar Tage zurückziehen möchte.
– wenn ich meine Periode habe. Muss ich mehr schreiben?
– ein Hotelzimmer/Appartement erschwinglich ist und manchmal sogar billiger als ein Hostelbett.
– ich keine Kontakte brauche/möchte. Wenn ich 4 Tage Strand geplant habe und das auch ohne Hilfe schaffe.
– wenn es keine Hostels vor Ort gibt. Gibt es auch.
Jetzt bin ich 41 und es ist immer spannend. Ich habe in 9 Wohngemeinschaften gelebt. Man lernt zu kommunizieren und bei sich zu bleiben. WGs sind, finde ich, eine gute Erfahrung. Mit 20 jährigen auf einem Hostelzimmer zu ‘leben’. Die Gespräche. Herrlich! Aber auch die 70 jährige, die alleine durch Kanada reist, um zu wandern. Es wird immer Menschen geben, die sich nicht benehmen, bzw. jede Kultur eine andere Auffassung von ‘Benehmen’ hat: Lautstärke beim Reden, Türen knallen, Grüßen ja oder nein, Distanzzonen sind von Kultur zu Kultur unterschiedlich – hab mal nen Small Talk mit einer 27-jährigen aus Bolivien. So nah bin ich nicht mal meinem letzten Flirt gekommen.
Und genau das genieße ich. Ich muss es nicht mögen und verstehen. Aber das macht die Welt aus und das Zusammenleben für wenige Augenblicke.
Und für mich ist es immer wieder eine gute Situation, um bei mir zu bleiben. Meine Ansprüche nicht auf andere zu projizieren. Therapie, um mich nicht selbst zurückzuziehen und andere auszugrenzen.
Ja, es wird geschnarcht. Die 20-Jährigen quieken nachts über ihre Flirts. Wer hat wen auf welcher Story getaggt und im krassesten Fall auch noch ein Herz dagelassen. Aber das sind Ausnahmen. Meist ist Ruhe im Zimmer.
Habt ihr schon einmal Jugendliche Nudeln kochen sehen, die das noch nie gemacht haben? Das Pärchen, was gemeinsam mit Gabel und Messer ein Spiegelei in der Pfanne umgedreht hat, toppt bisher alles, was ich in Gemeinschaftsküchen gesehen habe. Huch, ist das schon Bonding oder einfach nur Unfähigkeit?
Das wollen viele nicht erleben – ich finde es ab und an sehr erfrischend und gibt mir immer wieder ein Blick auf mich und mein Leben. Ich kann mich nicht darüber aufregen, denn ich war auch mal 20 und war garantiert sehr temperamentvoll und nervig. Nudeln kochen konnte ich aber schon.
Betrunken aus einem Pub zu kommen, sich noch einen Kebap holen und im Aufenthaltsraum (was eine ehemalige Kapelle war) noch völlig verpeilt neben fremden Menschen den Mitternachtssnack zu genießen und das Billardspiel zu beobachten und die unerträgliche Mucke aus schlechten Lautsprechern der Reisegruppe aus Argentinien zu ertragen. Ich liebs.
Oder zwei Mädchen (max. 20 Jahre!) zu zeigen, dass man die dreckigen Schuhe nicht in den Koffer packen muss. Sondern die Duschhauben aus dem Gemeinschaftsbad als Schutz nutzen kann. Die Blicke. Ach, mein Herz geht auf.
Mir ist eine Küche wichtig, wo ich mir mein Teewasser für unterwegs kochen kann. Und in Ländern, wo man sich nur schwer gut und gesund ernähren kann, ist eine Küche Gold wert.