Ich habe meinen Führerschein mit 26 gemacht. In Hamburg. Ich hatte auch mal ein Auto. Und es hat sich herausgestellt, dass ich das nicht brauche. Ich kann fahren, bin aber keine, die seit 15 Jahren jeden Tag fährt und das irgendwelche Gefühle in mir auslöst. Und als ich ganz frisch meinen Führerschein hatte, habe ich einen Umzug mit einem Auto gemacht – von Hamburg bis nach Görlitz. Und bin mit einem Mietwagen durch Rumänien. Serpentine ohne Ende in der Nähe von Dracula. Mit einem Van die Westküste in US lang. Nicht die ganze Strecke. Aber das würde ich jetzt auch anders machen und mehr fahren wollen. Der Portugal-Roadtrip war speziell. Das verarbeite ich heute noch und ich bin noch nicht bereit, darüber zu schreiben. Es sitzt sehr tief. Ich kann das. Aber Freiheitsgefühle kommen nicht auf. Obwohl, als ich mit dem fetten Van am Strand geballert bin – das war geil. Zu hoher Anspruch eine gute Fahrerin zu sein? Jeder Idiot setzt sich hinters Lenkrad und denkt, er fährt gut. Ich ticke da anders. Ich kann auch nicht auf mein Telefon gucken, tiefe Gespräche führen oder Sprachnachrichten während der Fahrt aufnehmen. Ruhe und Konzentration. Woher das kommt weiß ich nicht und ich habe auch keinen Bock, auch das noch zu analysieren und aufzuarbeiten. Reicht dann auch irgendwann. Bevor ich mir einen Mietwagen in Australien oder Neuseeland leihe, will ich üben. Eine Freundin hatte die Idee, mir eine Fahrstunde zu buchen. So schlau! Erledigt und schon saß ich mit Raj in einem Automatikauto mitten im City Centre von Adelaide. Diese Auffrischungsstunden nehmen viele Touristen in Anspruch. Und bitte verschont mich mit Sprüchen, dass man das doch schnell drauf hat oder das doch rausgeschmissenes Geld ist. Das ist doch einfach … Bitte verschont mich euren Lebenserfahrungen und eurer Meinung. Mir gehen zurzeit Menschen stark auf den Sack, die mir erzählen, wie sie es gemacht hätten. Dann kündige du doch deinen Job, dann wechsle doch den Job oder kauf dir eine Wohnung. Oder leg dein Geld in Aktien an, die du so gut findest. Geh du doch in eine Bar und lerne jemanden kennen. Oder ganz allgemein: Dann mach doch eine Reise nach Australien und guck dir das an, was du mir rätst und leih’ dir ein Auto. Lasst es. Kümmert euch um euch! Ist gerade extrem und nervt mich so hart. Diese Geschichten und Meinungen von Menschen, die selbst unglücklich und verbittert sind. Lebt euer Leben, aber quatscht mich nicht voll!! Ansage!

Ich hole mir also Unterstützung, um mal unter Beobachtung im Linksverkehr klarzukommen. Gute Entscheidung. Jetzt schon. Die Sonne ballert. Sitz einstellen. Raj ist kleiner als ich. Na klar, alles auf Englisch. Und PMS. Tolle Kombi: PMS + Fahrstunde im Linksverkehr + English zuhören, verstehen und reden = Herzlichen Glückwunsch! Auf geht’s!

Es ist definitiv anders. Dein Hirn kämpft gegen das Gelernte. Zu weit links gefahren. Immer und immer wieder sagte er, dass ich einen Tick mehr rechts fahren soll. Machen viele, die aus dem Rechtsverkehr (Nennen Nazis so Ihren Geschlechtsverkehr?) kommen. Auf eine Hauptstraße abbiegen. Da musst du echt umdenken. Ich war so hochkonzentriert, wie in den letzten 4 Monaten nicht mehr. Links abbiegen, rechts abbiegen – hier empfehle ich dann auch auf die linke Fahrbahn abzubiegen. Ich sach’s euch ja nur! Und dann eine fette Kreuzung mit einem Abbiegepfeil an der Ampel. Kurze Erklärung: 1. Grün ohne grünen Pfeil = Warten und Kreuzung checken. 1. Grün mit Pfeil = Fahr! Er fragte mich, ob das auch so in Deutschland ist. Aber vorher musste ich ihm erklären, dass Deutschland einmal ein geteiltes Land war. Ich fahre hier in einer fremden Stadt bei 38 Grad auf der linken Seite und ich muss einem Inder, der seit seiner Kindheit in Australien lebt, die Teilung von Deutschland erklären. Auf Englisch. Ich mache es mir aber auch nicht einfach. Ok, jetzt weiß er Bescheid. Und ich erinnere mich vage, dass der Abbiegepfeil in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich war?! Wie war das nochmal?

Ich blinke im Kreisverkehr und Raj meinte, dass ich das nicht brauche: Wir sind hier nicht in einer Prüfung. Na gut. Dass ich beide Hände am Lenkrad haben muss, sagt er alle 5 Sekunden!!! Und dann stehe ich zwischen Bussen, Trams und PickUps. Geht alles. Halt nur links. Nach 40 Minuten lehnt er sich bissl mehr zurück und fängt an mich auszufragen – über mein Leben und Pläne. Äh, Raj … du redest wirklich Hochenglisch und es fällt mir leicht, dich zu verstehen, aber English antworten und rechts abbiegen rauben mir meine letzten Gehirnzellen. Er hört auch nicht auf. Fragt und erzählt. Immerhin ein Zeichen, dass alles ok läuft. Wir cruisen durch die Stadt. Dass ich im Outback mit 123456 km Strecke immer geradeaus keine Probleme hätte, links zu fahren, ist klar. Aber City ist was anderes. Ich habe in 4 Monaten nicht einmal ein Auto hupen gehört. Ich frage Raj, ob hier alle so entspannt sind. Gehupt wird nur, wenn man jemanden darauf aufmerksam machen will, dass er sich in Gefahr begibt oder andere, aber nicht um jemanden zu zeigen, das man genervt ist. So sind se …die Australier. Aber Ausnahmen gibt es natürlich, versicherte er mir noch.

Mit einem Satz ganz am Anfang hatte er mich. Er sagte: Focus on your problems!, als ich mich über die Fahrweise von dem Truck nehmen mir aufregte. Da saß ich erst 2 Minuten im Wagen. Recht hat er! Guter Tipp. Na klar, muss ich gucken, ob Gefahr durch Dummheit von anderen Menschen lauert – wie immer im Leben. Aber hier Fokus auf meine Situation und Probleme. Und da haben wir es wieder: Kümmert euch um euern Scheiß!

Ich bin stolz wie Bolle, dass ich mir Hilfe geholt habe und ich gehe jetzt viel gestärkter an die Entscheidung, vielleicht ein Auto zu mieten. Jetzt habe ich es einmal durchgespielt. Crashkurs. Guter Invest. In der Stadt will ich eh nicht fahren – wenn dann Outback oder Küste. Vielleicht auch erst in Neuseeland. Da habe ich das Visum heute bekommen. Ich darf einreisen!